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Bali statt Bochum von Natascha Wegelin

Aktualisiert: 17. Jan. 2021


Natascha Wegelin © Foto: Jacqueline Häußler

"Wie jede Frau ihr Ticket in die finanzielle Unabhängigkeit löst" will Natascha Wegelin, besser bekannt als Madame Moneypenny, in ihrem 2018 erschienen Ebook erklären. Beim Lesen haben wir unser Finanzwissen aufgebessert und gleichzeitig ein kritisches, feministisches Auge auf die Ausführungen geworfen.



"Vermögen ist weiblich"


Aus traditioneller und genderstereotyper Sichtweise ist Geld wohl eher Männersache. Die Frau kümmert sich um Haus und Familie, der Gatte um die Finanzen. Diese Verteilung basiert auf früheren - mittlerweile zum Glück abgeschafften - Gesetzen, die es bspw. Frauen in Deutschland bis 1958 nicht erlaubten, ein eigenes Bankkonto zu führen oder einen Beruf ohne Zustimmung des Ehemannes auszuüben. Noch bis 1977 nahm die Erwerbstätigkeit von Frauen ein jähes Ende, wenn diese angeblich nicht mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar sei.¹ "Lang ist's her", könnten wir jetzt denken und uns über unsere heutige Stellung im Berufsleben freuen. Doch das wäre zu kurz gedacht.


Der Gender Pay Gap lag in Deutschland im Jahr 2019 bei 20%.² Das bedeutet, dass Frauen im Schnitt 20% weniger verdienten als Männer. Unterschieden wird zwischen dem "bereinigten" und dem "unbereinigten" Gender Pay Gap: Unbereinigt bedeutet, dass alle berufstätigen Personen in die Erhebung mit einfließen, ungeachtet dessen, wie viele Stunden sie z.B. pro Woche arbeiten oder wie ihre beruflichen Qualifikationen sind. Dies wird häufig als Verzerrung der Realität dargestellt. Denn klar: Wer nur eine Teilzeitstelle besetzt, verdient im Regelfall weniger als eine Person mit Vollzeitjob - arbeitet aber auch weniger. 2018 war fast jede zweite Frau im Alter von 20 bis 64 Jahren in einem Teilzeitjob tätig. Bei Männern der gleichen Altersgruppe waren es nur 9%. Ist der Gender Pay Gap also nur eine Täuschung und Männer sind einfach fleißiger?


Hell no! Es wäre grundsätzlich falsch einen "bereinigten" und dadurch weniger dramatischen Gender Pay Gap zu fordern und uns im Glauben an eine "doch gar nicht so schlecht Welt" erleichtert zurückzulehnen. Stattdessen sollten wir viel eher hinterfragen, warum denn so viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Ein wichtiger Grund ist die Verteilung unbezahlter Care Arbeit innerhalb der Familie: Frauen investieren deutlich mehr Zeit in die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen sowie den Haushalt als Männer.³ Hier ließe sich die Frage nach der Henne und dem Ei stellen: Übernehmen Frauen heutzutage diese Pflichten, weil sie in ihren Jobs weniger verdienen und somit der männliche Hauptverdiener weiterhin arbeiten soll oder verdienen Frauen weniger, weil sie diese familiären Aufgaben übernehmen? Doch letztendlich zählt: Frauen haben generell weniger Geld zur Verfügung als Männer.


Und dieses Missverhältnis wirkt sich auch auf das Alter aus. Wie wir wissen, lässt es sich von einer gesetzlichen Rente ohnehin nicht besonders gut leben. Da Frauen aber aufgrund der oben genannten Gründe und häufig schlechter bezahlten Jobs (z.B. in der Pflege) weniger in die Rentenkasse einzahlen, sind auch ihre Auszahlungen geringer. "Hochrechnungen zufolge wird bei bis zu 75 Prozent der heute 35- bis 50-jährigen Frauen die gesetzliche Rente unter dem jetzigen Hartz-IV-Niveau liegen. In Zahlen bedeutet das: unter 400 Euro pro Monat.", so Natascha Wegelin (S. 17), die sich bei dieser Aussage auf Vivien Timmlers Beitrag in der SZ⁴ bezieht.


Okay, durchatmen. Keine guten Aussichten, doch die Überschrift dieses Absatzes lautet ja "Vermögen ist weiblich" (aus "Bali statt Bochum", S. 26), nicht "Armut ist weiblich". Wie also wenden wir nun das Blatt?


Educate yourself!


Selbstverständlich bedarf es flächendeckender Änderungen und einiger Innovationen im beruflichen Sektor. Doch was können wir selbst tun? Das Stichwort Nummer eins ist Bildung! Auch wenn schon in der Grundschule das Vorurteil erklingt, dass Frauen nicht so gut mit Zahlen umgehen könnten, sollten wir uns von diesem Irrglauben nicht abschrecken lassen, Verantwortung übernehmen und lernen mit dem Geld, das uns zur Verfügung steht, gut umzugehen. Dazu müssen wir uns informieren: Über Kontenmodelle, Anlagemöglichkeiten, Renditen und Aktien.


Zu diesem Zweck ist "Bali statt Bochum" eine gute Einstiegslektüre. Keine Angst vor großen Begrifflichkeiten und komplizierten Definitionen. Das Ebook ist wie ein Reiseführer gestaltet. Schrittweise wird festgelegt wohin es gehen soll, was dafür eingepackt und vorbereitet werden muss und wie lange der Weg zum Ziel wird. Wo stehe ich finanziell gerade? Was gilt es als nächstes zu tun? Wie viel Geld brauche ich zu welchem Zeitpunkt und wie schaffe ich das? Dazu gibt es Exceltabellen zum Nachvollziehen und Anwenden der Theorie. Wer seine Finanzvokabeln lernt, ist für den Anfang schonmal gut ausgestattet und weiß - laut Natascha Wegelin - mehr über Geld als 99% aller Deutschen (z.B. S. 147).


Kapitalismus und Feminismus - Geht das zusammen?


Zweites Stichwort, das in "Bali statt Bochum" vermutlich stärker gewichtet wird als in anderen Finanz-Fachbüchern, ist das Mindset. Wer Geld haben möchte, muss aufhören es negativ zu konnotieren. Viele unserer Glaubenssätze wollen uns davon überzeugen, dass Geld stinkt, dass man nicht darüber spricht, dass wohlhabende Menschen generell unehrlich sind. Oder dass wir es nicht wert sind mehr Geld zu verlangen (z.B. im Job), Geld zu besitzen. In den meisten Fällen steht Feminismus in engem Zusammenhang mit Kapitalismuskritik. Auch hier wird das Streben nach Geld abgewertet, da es mit der Ausbeutung ohnehin schon marginalisierter Gruppen einhergeht.


Wenn Reichtum diese Folgen nach sich zieht - und leider sehen wir diesen kausalen Zusammenhang in unserer Realität an allen möglichen Stellen - kann er aus Sicht eines intersektionalen Feminismus nicht befürwortet werden. Wenn Konzerne Menschen ihre Lebensgrundlagen wie Wasser nehmen, um Konsumgüter herzustellen, Mitarbeiter*innen ausbeuten, wenn Care Arbeit, die das Funktionieren und den Fortbestand unserer Gesellschaft erst möglich macht, nicht geschätzt und vergütet wird, dann laufen grundlegende Dinge falsch.


Wir möchten aber auch die andere Seite beleuchten. Alle Menschen, die (wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum) mit knappen finanziellen Mitteln auskommen mussten oder müssen, wissen: Geld macht so vieles einfacher - sei es medizinische Versorgung, Betreuung der Kinder, damit ihre Eltern zur Arbeit gehen können, sei es gesunde und faire Ernährung, sei es gesellschaftliches Ansehen - und zwar nicht im Sinne von Prominenz, sondern durch das Vermeiden von Stigmatisierung und Abwertung. Und weiter: Nur wer Geld hat, kann gute Projekte mit sozialem Charakter und nachhaltigen Ansätzen unterstützen. Wenn feministische Unternehmer*innen Geld verdienen, können sie ihren Angestellten menschenwürdige und fortschrittliche Arbeitsbedingungen gewähren, sie gut bezahlen, Inklusion ermöglichen, faire Handelsbeziehungen pflegen und eine wirkliche Veränderung herbeiführen. Lehnen wir Unternehmer*innentum und Geld ab, können wir all diese Dinge nicht tun und auch diejenigen nicht durch unsere Käufe oder Spenden unterstützen, die sich bemühen diese Vision umzusetzen. Wir würden das Feld freiwillig weiterhin den Männern oder generell Menschen mit weniger guten Absichten überlassen.


Leseempfehlung - yay or nay?


Eines sei gleich zu Beginn festzuhalten: Wir sind keine Finanzexpertinnen und können daher über das im Buch enthaltene Fachwissen kein Urteil fällen. Was wir allerdings bezeugen können, sind der Unterhaltungswert und die gute Lesbarkeit, die uns hier im Vergleich zu anderen Finanzbüchern deutlich höher erscheinen. Der Einstieg ist verständlich, sofern man nicht nur schnell über die 160 Seiten drüberlesen möchte, sondern auch bereit ist, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.


Natürlich wollen wir unser Leseerlebnis vor allem aus feministischer Sicht schildern. Hier gibt es einige Anmerkungen:


Wir haben uns die Frage gestellt, ob es denn wirklich nötig ist ein Finanzbuch gezielt an Frauen zu adressieren. Können Frauen nicht einfach die gleichen Inhalte lesen wie Männer? Brauchen wir eine Sonderbehandlung, die uns abgrenzt? In einer idealen, gleichberechtigten Welt wäre das nicht der Fall. Intelligenz ist keine Frage des Geschlechts. Kein Grund also Frauen das Rechnen und Wirtschaften anhand von Shoppingerlebnissen näherzubringen. Nur leider leben wir nicht in dieser idealen Welt, sondern sind alle vorurteilsbelastet, tragen internalisierte Stereotype in uns und müssen mit anderen Voraussetzungen klarkommen. Finanzwissen und das zugehörige Mindset also gezielt für Frauen aufzubereiten, ist ein Ansatz, den wir unterstützen. Allerdings hätten wir uns in diesem Rahmen mehr Aufmerksamkeit für weibliche oder queere Rolemodels gewünscht. Zu oft wird für unseren Geschmack das Wissen reicher, alter, weißer Männer wiedergegeben, das eben auf deren Erfahrungen basiert. Besser gefallen hätte uns ein Netzwerk aus Unternehmer*innen und ein größeres Augenmerk auf ihre Learnings.


Auch tappt Natascha Wegelin an manchen Stellen in die Genderfalle und erklärt uns, dass Rabatte im Schlussverkauf nichts mit Sparen zu tun haben. Die Shoppingbezüge hätten wir definitiv nicht gebraucht, wollen an dieser Stelle aber nicht zu kritisch sein. Immerhin geht es oft genug auch um Immobilieninvestments und Co. Wenn es jedoch heißt Frauen würden eher nach Gefühl investieren statt wie Männer rein rational (S. 29), Frauen würden auf Entdeckungen warten, während Männer sich einfach selbst entdeckten (S. 110), etc. werden für unseren Geschmack zu viele Stereotype reproduziert. Binäre Stereotype - wohlgemerkt. Berücksichtigt werden nur Frauen und Männer. Dies liegt sicherlich auch an statistischen Grundlagen, die bei der Erhebung von Einkommen, finanziellen Zukunftsaussichten oder Erfolg im Aktiengeschäft nur diese beiden Gruppen berücksichtigen und somit die Erfahrungen vieler Menschen ausschließen.


Apropos Erfahrungen vieler Menschen: Leider müssen wir bei diesem Buch auch die klassistische Sichtweise kritisieren. An einer Stelle heißt es beispielsweise: "Ungerechtigkeit hin oder her: Die einzige, die dafür verantwortlich ist, dass sie weniger verdient als sie sollte, bist du! Ja, es kann sein, dass dir Ungerechtigkeiten widerfahren sind. Aber deine Reaktion darauf bestimmst du alleine." (S. 110) Hier müssen wir einfach widersprechen. Nicht jede*r, die*der nur hart genug arbeitet oder clever genug ist, schafft es nach oben. Es ist unsere Aufgabe Diskriminierung entgegenzutreten und gleiche Grundlagen für alle zu schaffen und nicht Betroffene aufzufordern mehr aus ihrer beschissenen Situation rauszuholen. Als weiße, able-bodied⁵ cis-Frauen⁶ aus der Mittelschicht (und da nehmen wir uns selbst gar nicht raus) müssen wir unsere Privilegien anerkennen und dürfen unsere eigene Ausgangsbasis nicht auf alle Menschen übertragen. Ressourcen wie Geld, Bildung und Wissen, soziale Teilhabe, physische und psychische Gesundheit und Chancen sind nicht gleich verteilt!


Nach der Kritik jedoch noch ein positiver Faktor zum Schluss: Wir brauchen in allen Bereichen unserer Gesellschaft, auch und vielleicht ganz besonders, im Finanzwesen starke Frauen, die als Vorbilder dienen, die Sichtbarkeit schaffen, sich vernetzen und die andere Frauen empowern - durch Zuspruch und durch das Teilen von Wissen. Natascha Wegelin tut dies, ganz ohne Frage. Wir würden uns nur wünschen, dass ihr feministischer Ansatz (der im Buch nie als solcher bezeichnet wird) inklusiver und vorurteilsfreier wird. Wie wäre es mit einer Neuauflage?


Bezüge:


¹ Senta Gekeler: Diese Rechte haben Frauen in den letzten 100 Jahren errungen. In: Human Resources Manager am 05.03.2019. Link: https://www.humanresourcesmanager.de/news/frauenrechte-arbeit-letzte-100-jahre.html

⁴ Vivien Timmler: Frauen müssen früher sparen. In: Süddeutsche Zeitung am 30. Oktober 2015. Link: www.sueddeutsche.de/geld/altersvorsorge-frauen-muessen-frueher-sparen

⁵ der Begriff "able-bodied" steht für eine Eigenschaft, die für viele Menschen absolut selbstverständlich ist: einen gesunden, funktionierenden Körper (inkl. Psyche). Viele Menschen leben aber ohne dieses Privileg. Mehr zum Thema kannst du unter dem Schlagwort "Ableismus" nachlesen.

⁶ "cis" oder "cisgender" beschreibt Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. Eine cis-Frau ist demnach eine Person, die als Mädchen zur Welt gekommen ist und sich mit dieser Zuordnung wohlfühlt - also nicht als transgender, non-binary oder genderfluide lebt.





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