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About Shame von Laura Späth inkl. Interview mit der Autorin

Aktualisiert: 3. Okt. 2021

Leute, Leute, welch ein bewegender Lesemonat. Natürlich wegen „About Shame“, aber auch wegen all den anderen Dingen, die so vor sich gingen. (Leider) konnten wir unser neu gesammeltes Wissen zum Thema (Fremd)Scham direkt auf etliche Situationen anwenden. Dabei ging es um ganz persönliche Erfahrungen, aber auch um Dinge, die „größer“ sind als wir, wie das Dilemma in Afghanistan.


Dazu kam, dass wir uns endlich wieder in Person treffen konnten, zu unserem Buchclubtreffen. Eine großartige Erfahrung, vor allem auch wegen unserer Lektüre, die das Zusammentreffen gleich noch viel intensiver gemacht hat. Ich will euch kurz erklären warum:


Obwohl wir im letzten Jahr wirklich schon einige bewegende Thematiken besprochen haben, hatten wir noch nie ein Thema, das uns alle in dieser Intensität betrifft. Das wird wohl daran liegen, dass wir privilegiert sind, als weiße cis Frauen in einem Land wie Deutschland. Naja, aber die Scham macht eben vor niemandem Halt. Sie ist ein Gefühl, welches unser Körper selten zu verstecken vermag, man denke nur an das typische Erröten. Und so saßen wir zusammen und hatten uns extrem viel zu erzählen, über unsere ganz persönliche Scham.


Was wir mitgenommen haben ist, erstmal Schamgefühl als jenes zu identifizieren. Das ist gar nicht so leicht, weil in unserer Gesellschaft logischerweise selten über das gesprochen wird, wofür wir uns schämen. Von daher wird sie oftmals als ein anderes Gefühl wahrgenommen. Man spricht dann ganz oberflächlich von Angst oder dass etwas peinlich ist. Ein weiterer Aspekt, den wir beim Lesen als wichtig erachtet haben ist, dass es nicht das große Ziel sein sollte das Schamgefühl komplett zu überwinden, sondern dass man viel mehr über sich lernen kann, wenn man sich damit auseinandersetzt, woher Scham in einer bestimmten Situation kommt.


Wie bereits angekündigt, hat sich Laura Späth, die Autorin unseres August Buchs dazu bereiterklärt, uns ein paar Fragen zum Buch und zum Thema Scham generell zu beantworten. Unsere Rezension fällt dieses Mal also etwas kürzer aus. Außerdem haben wir uns dazu entschieden, dass es ab jetzt Leseeindrücke von jedem Buchclubmitglied zum Monatsbuch auf unserem Instagram Account geben wird. Wer also noch mehr Feedback zum Buch möchte, kann auf Instagram nachlesen.


Hier jetzt aber erst mal das Interview mit Laura:



Interview mit Autorin Laura Späth


feministischeslesen: Ich habe im Buch den Eindruck bekommen, dass Scham eher negativ behaftet ist. Sie hemmt und verunsichert. Gibt es denn auch Situationen in denen Scham positiv ist? Und wenn ja, welche?


Laura Späth: Auf jeden Fall gibt es diese Situationen, sogar gar nicht so wenige. Ich würde Scham nach wie vor nicht als "negatives" Gefühl verstehen. Sie ermöglicht oft Empathie oder wirft Fragen nach Verantwortung auf. Aus meinem eigenen Leben fallen mir viele Situationen ein, in denen Scham positiv war: Zum Beispiel ist es mir schon öfter passiert, dass ich in einer Runde von Leuten war, in denen ein Witz auf Kosten einer Person gemacht wurde. Obwohl ich nicht die Person selbst war, habe ich mich quasi mit der Person geschämt, die sehr klar wahrnehmbar Scham empfunden hat. Da

hat es die Scham möglich gemacht, nicht mitzulachen, von der Person und dem Witz abzulenken oder aber die anderen zu konfrontieren.


Anderes Beispiel: Ich schäme mich sehr oft für die politische Weltlage. Dann fühle ich mich zwar auch ohnmächtig, klein und "nicht aktiv genug", aber diese Scham sorgt manchmal auch für politisches Handeln und die Frage, wie es denn anders laufen

könnte. In all solchen Situationen würde ich sagen, dass Scham durchaus positiv ist, mit dem kleinen Zusatz, dass wir vielleicht wegkommen sollten von einer Denkart, in der Gefühle immer und überall erstmal bewertet werden müssen.


feministischeslesen: Du schreibst ganz klar, dass es kein universales Geheimrezept gibt um die eigene Scham zu konfrontieren oder aufzuarbeiten. Das jede*r seine eigene Methode entwickeln muss, dennoch habe ich gerade in dem Kapiteln, als es um die Schulzeit ging, oft darüber nachgedacht, ob es vielleicht doch einen Ratschlag gäbe, den du Heranwachsenden zum Umgang mit Scham geben würdest?


Laura Späth: Hm, das ist schwierig, weil ich bezweifle, dass ich die Kompetenz habe, Heranwachsenden Ratschläge zu erteilen. Aber wenn ich der Laura von vor zehn Jahren ein paar Tipps geben dürfte, würde ich sagen: "Erstens: Wenn du Scham empfindest, frag dich, warum. Hat die Scham wirklich etwas damit zutun, was du selbst richtig und wichtig findest oder schämst du dich, weil du irgendeinem Bild von anderen oder der Gesellschaft nicht entsprichst? Zweitens: Übernimm nicht den Blick von Leuten, die dich beschämen und die dich schwach und wertlos fühlen lassen. Es gibt keinen Grund so sein zu wollen, wie die. Drittens: Du musst Scham nicht verstecken. Scham ist eine Emotion, wie jede andere und wenn du sie verbirgst, kommt sie irgendwann wieder, vielleicht sogar schlimmer. Also versuch, über deine Schamgefühle zu sprechen mit Menschen, denen du vertraust, und vielleicht stellst du fest, dass die genau die gleiche Scham aus dem gleichen Grund kennen und sich auch schon oft so gefühlt haben." Aber ich bezweifle, dass das bei der Laura von damals angekommen wär und das ist auch in Ordnung so. ;)


feministischeslesen: Wir haben in unserem Treffen zum Buch wahnsinnig ausführlich und ausschweifend über unsere persönlichen Schamerfahrungen gesprochen, darunter auch über unsere Schamreaktionen. Gibt es denn bei dir Schamreaktionen, die du immer wieder beobachtest?


Laura Späth: Also erstmal freut es mich, wenn das Buch dazu führt, dass Menschen über eigene Erfahrungen mit Scham nachdenken und sich austauschen. Das ist sehr schön zu hören! Die wiederkehrenden Schamreaktionen gibt es haufenweise, sie haben sich auch im Laufe der Zeit ein wenig verändert, würde ich sagen. Früher hab ich den Blick gesenkt, versucht mein Gesicht zu verbergen und vielleicht die Hände vor Hand und Mund oder meine Augen gehalten. Ich habe nach unten geschaut, bin rot geworden, meinen Rücken gebeugt und mich möglichst klein gemacht. Manchmal

bin ich auch einfach weggegangen. Oft habe ich angefangen zu zittern, konnte ich keinen geraden Satz mehr formulieren und habe mich ständig verhaspelt, wenn ich noch was sagen wollte.


Heute ist das mit dem (Nicht-)Sprechen weniger stark, viel eher weise ich jetzt ständig darauf hin, dass ich mich schäme. Und ich muss sagen, das funktioniert ganz gut. Meistens schlage ich die Hände vors Gesicht und sage: "Ich schäm' mich grad so sehr!"


Aber ich muss auch dazusagen, dass ich mittlerweile fast selten in Situationen bin, in denen wirklich niemand um meine Auseinandersetzung mit dem Thema Scham weiß, insofern lockert das dann auch meist die Situation auf und man spricht über das Thema und tauscht sich aus, was ganz cool ist.


feministischeslesen: Bekommt das Thema "Scham" deiner Auffassung nach genug Aufmerksamkeit?


Laura Späth: Schwierige Frage... Scham bekommt jetzt, würde ich sagen, wesentlich mehr Aufmerksamkeit als vor ein paar Jahren, was ich begrüße. Ich finde es gut, wenn wir versuchen zu lernen, Emotionen genau zu benennen und voneinander zu unterscheiden und wenn daraus auch eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema erwächst. Was ich schwierig finde, ist die Art, wie sich damit auseinandergesetzt wird: Wenn Leute Unverschämtheit und Schamlosigkeit als Ideale verkaufen und einfach nur dazu aufrufen, sich doch nie wieder für irgendwas zu schämen, finde ich das einen bedenklichen Umgang, der der Komplexität solcher Emotionen nicht gerecht wird.


Ich würde außerdem sagen (und die Gefahr besteht natürlich auch bei mir selber), dass wir aufpassen müssen, nicht einfach alles als Scham zu labeln. Es gibt, wenn auch schwammige, Unterschiede zwischen Scham und anderen Gefühlen wie Schuld, Angst, Unsicherheit, Enttäuschung, und so weiter. Scham ist auch keine gute Phrase: Nur weil man sagt, man schäme sich, heißt das nicht, dass man ein "guter Mensch" ist. Es kommt darauf an, wie man mit der Scham umgeht und welche Konsequenzen man daraus zieht. Innerhalb des Buches definierst du ja auch immer mal wieder verschiedene Begriffe. Dabei taucht auch die Unterscheidung zwischen "Scham" und "Schuld" auf.


feministischeslesen: Könntest du diesen Unterschied nochmal genauer ausführen?


Laura Späth: Schön, dass du da nochmal nachfragst! Gerade diese beiden Gefühle sind erstmal schwierig voneinander zu trennen, sie treten oft gemeinsam auf und wurden von unterschiedlichen Leuten unterschiedlich definiert. Ich finde die Unterscheidung von Helen B. Lewis eigentlich im Prinzip ganz sinnvoll: Scham bezieht sich auf das Selbst, Schuld bezieht sich auf konkrete, einzelne Handlungen. Wenn ich eine Freundin mies behandle, fühle ich mich bezogen auf die Handlung schuldig. Im gleichen Moment kann ich mich aber auch dafür schämen, eine Person zu sein, die andere schlecht behandelt. Das passiert, würde ich sagen, gar nicht so selten.


Wir beziehen unser Verhalten in einzelnen Situationen auf unsere gesamte Identität, weil wir das ja auch oft gesellschaftlich vermittelt bekommen: "Wir sind so, wie wir handeln/uns verhalten." Meist wird daraus übrigens im Kapitalismus ein: "Wir sind, was wir leisten." Und wenn wir nicht richtig/genug leisten, dann fühlen wir uns vermutlich schuldig für den "Mangel an Aktivität", schämen uns aber im gleichen Atemzug auch, weil wir nicht die "leistungsstarke, resiliente, unabhängige Person" sein können, die wir sein sollen.


feministischeslesen: Bei unserem Gespräch, ging es auch immer wieder um eine Definition von Scham. Wir haben dabei zum Beispiel über Anerkennung und Akzeptanz in einer Gruppe gesprochen, sind aber doch nicht richtig zu einem Resultat gekommen. Wie ist denn deine Definition von Scham?


Laura Späth: Puh, Definitionen... Jetzt komm ich ins Grübeln... "Scham ist das Gefühl, keine Person zu sein, die anerkannt wird oder werden sollte. Sie bezieht sich meist auf das gesamte Selbst und geht einher mit spezifischen körperlichen Regungen und anderen Emotionen, wie zum Beispiel dem Gefühl, ungewollt zu sein. Oft entsteht sie in Situationen, in denen Menschen dem Blick anderer ausgesetzt sind, der sie (negativ) bewertet, wobei auch der Eindruck reicht, negativ bewertet zu werden.


Manchmal braucht es diesen Blick der anderen nicht physisch: Scham kann auch auftreten, wenn Menschen sich nur vorstellen, wie andere sie beurteilen würden, wären sie Zeug:innen der Situation. Insofern entsteht Scham im Kontext eines realen oder vorgestellten Blickes, der bewertet und beschämende Macht besitzt." So in etwa würde ich es versuchen? Aber wie gesagt, ich bin nicht gut darin Phänomene trennscharf, exakt und umfassend zu definieren.


feministischeslesen: In einem Kapitel geht es auch um die Angst vor der Scham. Ist diese als klares Hindernis zu sehen, oder kann sie uns auch schützen?


Laura Späth: Scham-Angst schützt meiner Wahrnehmung nach sehr oft! Sie sorgt dafür, dass wir uns an bestimmte Normen halten, die ja nicht immer per se schlecht sind, nur weil es Normen sind: Ich finde es beispielsweise gut, wenn Menschen sich nicht trauen, die Shoah zu leugnen, weil sie Angst vor Beschämung haben. Das Problem dabei ist, dass diese Angst vor Beschämung leider oft zu Trotzreaktionen führt, aber prinzipiell ist das eine Situation, in der Scham-Angst dafür sorgen kann, innezuhalten und nochmal zu überlegen, wie vertretbar diese oder jene Position ist und ob es nicht vielleicht auch gute Gründe gibt, warum sie nicht vertretbar ist.


feministischeslesen: In deinem Buch behandelst du ja ganz persönliche Momente deines Lebens. Wie ist es für dich zu wissen, dass Menschen aus deinem Umfeld diese prägenden Schamerfahrungen nun einfach nachlesen können?


Laura Späth: Auf jeden Fall schwieriger als zu wissen, dass mir komplett unbekannte Menschen das lesen können. Die Frage zielt, glaube ich, auf genau das ab, wovor ich tatsächlich am allermeisten Angst hatte und habe: Dass mir nahestehende oder bekannte Menschen das lesen und mir Vorwürfe machen, warum ich nichts gesagt habe und dass vielleicht nicht rüberkommt, dass das Thema des Buches genau die Antwort auf diese Frage ist: Scham. Ich habe Angst, dass Leute sich nicht trauen, mit mir über die Inhalte des Buches zu sprechen, weil es unangenehm werden könnte, weil die Themen persönlich, privat, intim sind, genauso wie sie politisch sind. Insofern bezieht sich meine Angst weniger auf das Lesen der Geschichte, sondern mehr auf die Frage, was daraus dann wird.


Bisher hat sich diese Angst allerdings nicht bestätigt, im Gegenteil. Ich hatte viele gute Gespräche mit nahestehenden und weniger nahestehenden Personen und teilweise haben sich ganz neue Verbindungen zwischen einzelnen Lebensgeschichten ergeben, über die wir vermutlich ohne das Buch nie gesprochen hätten. Auch insofern: Es lohnt sich, über Scham zu sprechen!


feministischeslesen: Last but not least habe ich noch eine Frage von einer Followerin, die sich auf deine Literaturliste bezieht. Sie möchte wissen, weshalb Brené Brown dort nicht auftaucht?


Laura Späth: Nun, das ist durchaus eine berechtigte Frage, immerhin kommt man um Brown fast nicht drumherum, wenn man sich mit Scham beschäftigt. Sie ist Autorin einiger bekannter Ratgeber, auch zum Thema Scham, die ich ebenfalls für meine Masterarbeit und das Buch gelesen habe. Im Buch kritisiere ich sie für einige ihrer Ansätze, auch den der "Scham-Resilienz". Hier kann ich das nicht zur Gänze ausführen, aber ich plädiere für einen kollektiven und vor allem gesellschaftskritischen Umgang mit Scham; für eine gesellschaftlich-politische Kontextualisierung dieser Emotion, die so unfassbar viel mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat und daher nicht losgelöst von ihnen betrachtet werden kann. Bei Brown fehlt diese Ebene meiner Ansicht nach komplett, genauso wie bei dem Großteil der bekannten Ratgeberliteratur.


Vielen Dank, liebe Laura, dass du unsere vielen Fragen beantwortet hast! Es war uns eine Freude dein Buch zu lesen und uns mit dir auszutauschen.




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