Tanja
Exkurs Film: Risse im Fundament von Genia Leis und Gerald Sommerauer
Aktualisiert: 11. Feb. 2022
"Eigentlich ist nichts passiert. Oder doch? Risse im Fundament reichen schon aus, um ein Gebäude einstürzen zu lassen." Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von der Jugendjury des diesjährigen Filmfestival Max Ophüls Preis, die unter allen Spielfilmen "Risse im Fundament" für ihre Preisvergabe ausgewählt hat. Und es überrascht nicht, dass dieser Film besonders bei jungen Menschen Anklang findet, denn das Identifikationspotential mit der Protagonistin Eva ist hoch. Auch sie ist jung, Praktikantin in einem renommierten Architekturbüro und demnach auf ihren deutlich älteren Chef angewiesen, um diese erste Berufserfahrung als Sprungbrett für ihren künftigen Berufsweg nutzen zu können.
Worum geht's?
Eigentlich könnte ich an dieser Stelle schon aufhören die Handlung zu beschreiben. Denn die Ahnung schwingt beim Lesen vermutlich auch bei dir schon mit: Hier geht es um Grenzüberschreitungen und das Ausnutzen von Machtpositionen alter weißer Männer gegenüber jungen Frauen. Doch die Jungregisseur*innen Genia Leis und Gerald Sommerauer nähern sich dieser Thematik so leise und vorsichtig, dass man zu Beginn des Filmes selbst nicht sicher ist, ob der namhafte Architekt seine neueste Praktikantin (übrigens eine von mehreren jungen Frauen im Büro) einfach sympathisch findet bzw. ihr Talent fördern will, oder ob in seiner (zuweilen zu) freundlichen Art nicht auch eine unangebrachte Nuance mitschwingt.
Ohne zu viel verraten zu wollen: Schließlich wird doch der Punkt erreicht, an dem sich die Grauzone stark verdunkelt und obwohl es nicht zu einem gewalttätigen, physischen Übergriff kommt, erkennen wir klar, dass eine Grenze überschritten wurde.
Blick auf die Details
Die Main Story plätschert über die ersten Minuten eher gemächlich vor sich hin, obwohl man vor dem Bildschirm bereits darauf wartet, dass aus dem Bächlein ein reißender Fluss wird. Doch auch die kleinen Szenen sind bei diesem Film bemerkenswert. Während der einflussreiche Chef der klare Antagonist in der Figurenkonstellation ist, so kommen Mikroaggressionen durchaus auch von den jüngeren Kolleg*innen. Sei es die Jungarchitektin, die es sich nicht nehmen lässt die Praktikantin kleinzuhalten und ihre Autorität auszuspielen oder eine weitere Mitarbeiterin, die nicht verstehen kann warum nicht sie den Job für den Entwurf eines Gebäudes erhalten hat und daraus direkt schlussfolgert, ihre Kollegin schlafe sicherlich mit dem Chef.
Auch ein Kollege, mit dem Protagonistin Eva eine mehr oder weniger feste Beziehung eingeht - über ihren Status sind sich beide nicht einig - weiß ob der verzwickten Situation keinen besseren Rat als ihr zum Mitmachen (und später gar zu einer Entschuldigung) zu raten, um letztlich vom Praktikum und dem Einfluss des Chefs zu profitieren. Selbst die als feministisch dargestellten Freundinnen und Mitbewohnerinnen Evas lassen sich zum so oft gehörten und trotzdem kaum tröstlichen "Es ist doch nichts Schlimmes passiert" hinreißen, wenn auch in einer freundschaftlichen Atmosphäre der Unterstützung und des Beratschlagens im Safer Space der gemeinsamen Wohnung.
Unter den Side Characters sticht sicherlich einer hervor: Ein Künstler, der in seinem Metier nicht weniger angesehen ist als Evas Chef im Architekturbereich. Zudem sind die beiden Männer nicht nur im gleichen Alter und alte Freunde, sie teilen auch die Leidenschaft für eine gemeinsame Ex-Freundin, die Eva sehr ähnlich sieht. Als sie und ihr Chef den Künstler besuchen und die Nacht nach einem Abend mit reichlich Alkohol und Drogen (für die beiden älteren Männer) in seinem abgelegenen Haus verbracht werden soll, spitzt sich die Situation zu.
"Der Film schafft es, ein Gefühl der ständigen Bedrängnis zu vermitteln", schreibt die Jugendjury und spielt damit sicher auch auf die Gespräche an diesem Abend an. Denn der Künstler entpuppt sich als Antifeminist, nach dessen Ansicht in unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich der Mann benachteiligt und gar unterdrückt sei. Seine kruden Ansichten gipfeln in einer Bemerkung über eine mutmaßliche Vergewaltigung, bei der ihm vor allem der eigentliche Täter leid tut, dass er sich von einer 16-jährigen "Schlampe" habe verführen lassen. Während Eva sich bei dem Gespräch der beiden Männer lange zurückgehalten hat - wie viele von uns es in ihrer Position sicherlich genauso getan hätten - widerspricht sie an dieser Stelle. Doch ohne Erfolg. Obwohl in ihr innerlich offensichtlich die Wut kocht, wird sie von den alten Männern niedergeredet. Umso erleichterter war ich beim Zuschauen, als sie mutig das Ruder in die Hand nimmt und beschließt mit ihrem betrunkenen Chef im Schlepptau das Haus zu verlassen und die lange Heimfahrt auf eigene Faust und gegen den Widerspruch des Architekten anzutreten.
Fazit
"Der Film bringt auf die Leinwand, was schwer in Worte zu fassen ist. RISSE IM FUNDAMENT setzt ein Zeichen der Aufklärung und zeigt uns, dass eben doch etwas passiert ist", folgert die Jugendjury. Für mich ist der Film vor allem eines: realistisch. Protagonistin Eva ist keinesfalls schwach, redet anderen nicht nach dem Mund und behält auch in brenzligen Situationen die Fäden so gut wie möglich in der Hand. Sie ist aber definitiv keine Superheldin, keine Befreierin, keine Wortführerin für all die Menschen, denen ähnliches passiert ist. Und obwohl ich aus dem Film sicher gerne auch empowert und mit einem guten Bauchgefühl rausgegangen wäre, so hat er in seiner Nüchternheit womöglich mehr Eindruck hinterlassen und die Ohnmacht vieler junger FLINTA* auf das zuschauende Publikum übertragen.
Zum Film
Spielfilm | 84 Minuten | FSK 12
Premiere: Deutschland 2022
Regie: Genia Leis & Gerald Sommerauer
Buch: Isabella Oliveira Parise Kröger
Cast: Sofia Falsone (Eva) , Lorenz Klee (Evas Chef)