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  • AutorenbildTanja

Protest: Anleitung zu psychischer Gewalt darf nicht im Bücherregal stehen!

Aktualisiert: 22. Jan. 2021

Edit: Es ist geschafft! Hanser & dtv werden das Buch nicht mehr verkaufen. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 18.12. heißt es: "Zeiten ändern sich. Die gesellschaftliche Debatte zu toxischen Beziehungen und psychischem Missbrauch hat zu Recht zugenommen, ebenso die Erforschung dieser Felder. Damit einher geht eine gestiegene Sensibilität - die einen solchen Umgang mit dem Gegenstand fragwürdig macht. Das geht auch uns so. Wir haben das Buch nun erneut betrachtet, in beiden Verlagen diskutiert und werden es nicht weiter verkaufen." Wir danken den Verlagen für diese wichtige Entscheidung.


Der wahre Dank gebührt in erster Linie schwester.suffragette, die sich mit dem Buch auseinandergesetzt und viele Menschen - darunter uns - darauf aufmerksam gemacht hat. Generell gilt jedoch: Dieser Protest war eine Teamleistung aller, die sich an der Aktion beteiligt haben. Ohne die Unterstützung wären wir niemals gehört worden. Egal wie klein du bist: Gemeinsam lässt sich doch etwas erreichen! An die prominenten Vertreterinnen wie Silvi Carlsson, Ines Anioli, Jennifer Heist, Jasmin Schreiber, die She Said Buchhandlung, Jana Heinisch und Tim Tonndorf geht ein besonderes Dankeschön. Es ist wichtig, die eigene Reichweite für solche bewegenden Themen zu nutzen.


Für uns ist dieser Erfolg ein Hoffnung spendendes und erfreuliches Ende eines verrückten Jahres. Wir gönnen uns nun einen besinnlichen Jahresausklang, sind uns dabei allerdings darüber bewusst, dass dies ein Privileg ist, das leider nicht allen zuteil wird. Im nächsten Jahr sind wir zurück. Genauso interessiert, engagiert und unbequem wie zuvor.


Euer feministischeslesen-Buchclub


Berichterstattung:





Lea Kasseckert in der Saarbrücker Zeitung:


Ursprünglicher Blogpost:


Stell dir vor es gäbe ein Buch, das ganz genau beschreibt wie man eine toxische Beziehung aufbaut. Es gibt der*dem Täter*in eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie die begehrte Person manipuliert, isoliert und gefügig gemacht werden kann; kurz gesagt: wie man psychische Gewalt ausübt. Nun ja, dieses Buch existiert. Und das macht uns fassungslos - aber nicht sprachlos!


Zum Buch


2020 neu aufgelegt, findet sich dieses Buch unter dem Titel "Die 24 Gesetze der Verführung" sowohl im Hanser Verlag als auch bei dtv. Es gibt eine Kompaktversion mit 240 Seiten, aber auch ein ausführliches Werk über 560 Seiten. Hanser betitelt das Buch als "Handbuch der sanften Strategien", in dem der Autor zeigt, "wie man mit Charme und Überzeugungskraft andere Menschen beeinflussen und auf Abwege bringen kann." Was die beschriebenen Methoden mit Sanftheit oder Charme zu tun haben sollen, ist uns schleierhaft. dtv stimmt in den Tenor mit ein: "Es gibt neun Grundtypen des Verführers und 24 Strategien, die wir anwenden können, um andere davon zu überzeugen, absolut das Gleiche zu wollen wie wir." Doch entgegen dieser Inhaltsangaben geht es keineswegs um Argumentationswege, Kommunikationstechniken oder Flirtingstrategien. Was stattdessen beschieben wird, verraten wir dir gleich.


Zuvor wollen wir nur kurz darauf aufmerksam machen, dass bspw. die Zeitungen Welt und SZ dieses Buch als "Eine Fundgrube der Belehrung und des Genusses" (Welt laut Klappentext) und "vergnüglich" (Süddeutsche Zeitung laut Klappentext) bezeichnen. Zudem wird es bei den Verlagen und Buchhandlungen in den Kategorien Sachbuch, Ratgeber, Lebensführung, Lebenshilfe & positives Denken (!), Ratgeber Psychologie, Selbstwertgefühl (!) und ähnlichen geführt - was viel über die gewünschte Zielgruppe aussagt.


Triggerwarnung: Im Folgenden werden Auszüge aus dem Buch zitiert, die eine Anleitung zur Anwendung psychischer Gewalt darstellen. Wenn du diese expliziten Aussagen des Autors nicht lesen möchtest, überspringe diesen Absatz bitte.


Schon in der Einleitung wird klar: Hier geht es nicht um Liebe, sondern um Manipulation: "Ein verliebter Mensch reagiert emotional, ist gefügig und lässt sich leicht in die Irre führen" (S. 11). Doch damit nicht genug, Macht scheint für den Autor das absolute Ziel einer Beziehung zu sein: "Verführer lassen sich Zeit, sie berücken und bezaubern und bedienen sich der Bande der Liebe, so dass der sexuelle Akt, wenn er daraufhin erfolgt, das Opfer nur weiter versklavt." (S. 12) Und wie wird dieser Zustand nun erreicht? Dafür gibt es einige sehr drastische Mittel, die wir nicht alle nennen können - und wollen! Doch um dir die Problematik dieses Buches vor Augen zu führen, folgen einige kleine Auszüge, in denen der Autor unter dem Titel "Inhalt" einen "Vorgeschmack" darauf gibt, was in den einzelnen Kapiteln erklärt wird: "Schüren Sie Angst und Unzufriedenheit [...] Angespannte Disharmonie müssen Sie dem Geist Ihres Opfers einpflanzen.", "Isolieren Sie das Opfer - Eine isolierte Person ist schwach. Indem Sie Ihr Opfer nach und nach absondern, machen Sie es Ihren Einflüssen leichter zugänglich. Führen Sie es aus seinem vertrauten Milieu heraus, entfremden Sie es von Freunden, Familie, Heimat.", "Mischen Sie Lust und Schmerz - Der größte Fehler beim Verführen ist, zu nett zu sein. [...] Lassen Sie das Opfer sich unsicher und schuldig fühlen. Zetteln Sie einen Streit, gar eine Trennung an - wenn Sie nach der Versöhnung wieder zu Ihrer früheren Freundlichkeit zurückkehren, wird Ihr Opfer Ihnen auf Knien danken. Je abgrundtiefer die Qualen, umso himmelhöher die Freuden. Erzeugen Sie Angst, um die Erotik zu steigern."


Warum ist dieses Buch so problematisch?


Was hier beschrieben wird, sind die Grundlagen einer toxischen Beziehung. In ihnen geht es keineswegs um Liebe, sondern ausschließlich um Macht. Das "Opfer" - wie es im Buch unverhohlen genannt wird - gerät in ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem es sich meist nur schwer selbst befreien kann. Das Verliebtsein lässt am Gegenüber festhalten. Außerdem gibt es ja auch schöne Momente, die als Gegenargument für eine Trennung genutzt werden. Die toxische Beziehung kostet aber deutlich mehr Kraft, als sie positive Gefühle auslöst, sorgt für seelischen Schmerz und es fehlt an Sicherheit, Unterstützung durch die*den Partner*in. Meist werden auch Freundschaften und/oder familiäre Beziehungen beschädigt, da das Vertrauensverhältnis unterbrochen wird.


Falls du dich in einer solchen Beziehung befindest: Dieses Verhältnis ist nicht normal! Sei ehrlich zu dir selbst und gestehe dir ein, dass dich das Festhalten an dieser Person nicht glücklich machen wird. Du bist mehr wert und hast es verdient, eine glückliche Beziehung zu führen! Sprich darüber mit Personen, die dir nahestehen (oder vor der Beziehung nahestanden) und/oder such dir professionelle Hilfe bei einer*einem Psychotherapeut*in. Direkt unterstützen kann auch das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (wo sich Menschen aller Geschlechter melden können): 08000116016. Die Berater*innen sind auch auf Fälle psychischer Gewalt spezialisiert.


Zurück zum Buch:


Dass ein Buch das Licht des Marktes erblickt, das eine genaue Anleitung zur Ausübung dieser gefährlichen Machtspielchen gibt, das sprachlich mit seinen Absichten nicht hinter dem Berg hält und trotzdem von Verlagen und Buchhandlungen ins Programm aufgenommen, von Presse und Leser*innen bejubelt wird, lässt und fassungslos zurück. Offensichtlich ist in unserer Gesellschaft noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, was psychische Gesundheit anbelangt. Denn kannst du dir vorstellen, dass jemand ein anleitendes Buch über physische Foltermethoden herausbringt? Auch ein solche Abhandlung könnte man als "spannenden Einblick in die menschliche Psyche" bezeichnen - nur, dass dabei jeder*jedem klar wäre, wie falsch und gefährlich solche Beschreibungen sind. Im Bereich emotionaler und psychischer Gewalt ist dies scheinbar leider noch nicht der Fall.


Eine Anmerkung noch: Wir haben das Buch nicht komplett gelesen. Einerseits, weil wir den Autor, die Verlage und Buchhandlungen, die dieses Buch propagieren, nicht unterstützen wollen. Andererseits, um unserer eigenen Psyche diese Qualen zu ersparen. Auf das Buch aufmerksam gemacht hat uns schwester.suffragette, die das Buch komplett gelesen hat und mit der wir uns darüber ausgetauscht haben. Die zitierten Stellen haben wir im Buch nachgelesen. Und so reichen uns die Ausschnitte, die wir kennen, um von diesem Buch abzuraten, ja gar eine Protestaktion zu starten.


Was können wir dagegen tun?


Wir möchten dich bitten, dich an unserer Protestaktion zu beteiligen. Damit wollen wir Aufmerksamkeit für das Thema psychische Gesundheit schaffen und die Verlage und Buchhandlungen im Idealfall dazu bringen, das Buch aus dem Programm zu nehmen - zumindest aber zum Nachdenken anregen. Es ist wichtig, dass dieses Buch nicht in falsche Hände gerät - am besten wäre es, es würde in niemandes Hände geraten. Jedes "Opfer", das wir dadurch schützen und dem wir eine solche Beziehung ersparen können, ist den Aufwand wert.

Wie kannst du dich beteiligen?


  1. Schreibe eine negative Bewertung für das Buch und weise auf die Gefahren hin. Das kannst du an folgenden Stellen tun: dtv.de, hanser-literaturverlage.de, amazon.de, thalia.de und hugendubel.de. Da dieses Buch u.a. als Hörbuch erschienen ist, gibt es noch mehr Plattformen, auf denen eine Bewertung abgegeben werden kann. Die genannten sind jedoch die publizierenden Verlage und die von den Verlagen angegebenen offiziellen Partnerinstitutionen.

  2. Schreibe den Verlagen eine persönliche Nachricht - über die Sozialen Medien oder per Email (verlag@dtv.de und info@hanser.de). Frage nach, was sie bewegt hat ein solches Buch in ihr Programm aufzunehmen und weise auf die Gefahren hin. Mach deine Meinung als Leser*in und potentieller*potentiellem Käufer*in deutlich.

  3. Verbreite die Protestaktion über deine eigenen Kanäle: Erzähle deiner Familie, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen und Bekannten davon. Weise über Social Media darauf hin. Achte aber bitte darauf, dass du deine Kritik sichtbar machst - und nicht etwa ungewollt Werbung für das Buch machst, indem du bspw. Inhalte des Autors teilst, o.ä.

  4. Unterschreibe unsere Petition via www.change.org/dasistkeineverführung


Wir sind dankbar für jede Unterstützung!


Ehre wem Ehre gebührt: Über dieses Buch sind wir nicht selbst gestolpert. Aufmerksam gemacht hat uns schwester.suffragette über ihre Instagram-Stories und ihr Posting. Sie hat damit sehr viel Recherche- und Aufklärungsarbeit geleistet. Vielen Dank für dein Engagement!


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