Kinderwunsch ist ein feministisches Thema - keine Frage. Und natürlich setze ich mich dafür ein, dass jede Person ihre Familienplanung in ihrem Sinne gestalten kann ohne auf Widerstand und veraltete Stereotype zu stoßen. Ich selbst habe allerdings einen Kinderwunsch und hatte daher ein paar Bedenken, ob ich mich mit "Nie, nie, nie" von Linn Strømsborg würde anfreunden können. Ich beginne diese Rezension mal mit einem kleinen Spoiler: Konnte ich.
Worum gehts?
Die Protagonistin des Romans ist Anfang / Mitte 30, in einer festen hetero Beziehung und mit sich und ihrem Partner im Reinen. Dass sie keine Kinder möchte, steht für sie schon lange fest, in ihrer Beziehung ist das Thema offen besprochen worden. Und auch wenn ihre Mutter sich noch nicht ganz damit abgefunden hat, nie Oma zu werden, scheint das Thema grundsätzlich doch abgeschlossen - bis ihre beste Freundin schwanger wird. Denn dann beginnt nicht nur Anniken, die früher selbst mal behauptete keine Kinder zu wollen, an der Überzeugung ihrer Freundin zu zweifeln. Auch die Beziehung gerät ins Wanken. Denn obwohl sie gegenüber ihrem Freund mit offenen Karten gespielt hat und dieser damit einverstanden war keine Kinder zu bekommen, wird ihm jetzt klar, dass er mit diesem Kompromiss zum Erhalt der Beziehung auf Dauer wohl nicht glücklich werden wird.
Was mir persönlich sehr gut an der Erzählweise gefällt, ist der Verzicht auf überspitzte Gegensätze. Es ist nicht so, dass die Protagonistin als Identifikationsfigur dient und ihr Partner als "der Böse" dargestellt wird. Viel eher kann man beide verstehen, die verzwickte Situation geradezu mitfühlen. Es gibt in diesem Buch nicht nur schwarz und weiß sondern allerlei Grautöne und Schattierungen. Auch ist die Protagonistin nicht platt als "Kinderhasserin" dargestellt, sondern eher als charakterstarke Person, die sich nicht durch äußere Einflüsse von ihren Wünschen abbringen lässt - auch wenn sie durchaus bereit ist nachzudenken, sie menschlich zweifelt und hinterfragt.
Worum es aber auch geht
Auch wenn das Thema Kinderwunsch ganz klar im Vordergrund steht, gibt es unauffällig eingewoben in die Handlung noch mehr Stoff zum Nachdenken. Es geht beispielsweise um das Erwachsenwerden, um Beziehungen zu Müttern und Großmüttern, um ein chaotisches Weihnachtsfest, das entgegen aller Absprachen im Rahmen der Großfamilie verbracht wird. Es geht aber auch um die Liebe und zwar um eine sehr erwachsene Liebe, die zu einer*einem Partner*in, aber auch die zu sich selbst und um Freundschaft. Wir erfahren was es bedeutet sich selbst treu zu bleiben und lernen ein paar (wenige) Charaktere kennen, die das nicht getan haben.
Und wie es sich für einen feministischen Roman gehört werden allerlei Gender-Stereotype hinterfragt, Rollenklischees aufgedeckt und ungeschönt hinter die Fassade der glorifizierten Elternschaft geblickt.
Wem wir das Buch empfehlen würden - und wem nicht
Grundsätzlich geht unsere Empfehlung raus an alle, die Lust haben sich anhand eines kurzweiligen, einfühlsamen Romans dem Thema Kinderwunsch anzunähern - egal ob vor einem privaten oder generell feministisch interessierten Hintergrund. Linn Strømsborgs Sprache (bzw. die Übersetzung von Stefan Pluschkat) ist sehr angenehm zu lesen. Die Protagonist*innen wachsen einem ans Herz und selbst die entfernteren Bekannten, die im letzten Teil des Buches herangezogen werden um verschiedene Positionen bezüglich Kinderwunsch und Familienplanung darzustellen, sind einem schnell sympathisch - oder eben das Gegenteil. Gleichgültig aber kann man ihnen wohl kaum gegenüberstehen. Wer Argumente finden und abwägen, Meinungen hören und Entscheidungsprozesse nachempfinden will, ist mit diesen schnell zu lesenden 250 Seiten gut beraten.
Übrigens wird Nie, nie, nie im April 2022 auch als Taschenbuch erscheinen. Dank der sehr übersichtlichen Kapitel eine perfekte Lektüre für den Rucksack oder die Handtasche.
Nicht oder nur eingeschränkt empfehlen können wir das Buch all jenen, die mit folgenden Triggerthemen nicht so gut klarkommen: Schwangerschaft, Abtreibung (wird nur im Gespräch behandelt, nicht durchgeführt), innerfamiliäre Beziehungen, verstorbener Vater. Außerdem ging es mir persönlich sehr nahe, wie zwei Menschen, die sich offensichtlich aufrichtig lieben, ihre Beziehung aufgrund unterschiedlicher Wünsche für die Zukunft infrage stellen müssen. Ich würde das Buch daher auch niemandem empfehlen, die*der gerade eine schmerzhafte Trennung hinter sich hat oder unter Liebeskummer leidet. Aber: you do you!
An einer Stelle im Buch wird kurz über Fäkalien (von Tier und Kind) gesprochen, das sei sicherheitshalber auch als Triggerthema benannt. Es geht aber nur um eine knappe Erwähnung, keine eingehendere Thematisierung. Öfter kommt hingegen Alkohol vor. Nicht im Exzess, aber doch als den Alltag begleitende Normalität. All diese Triggerthemen werden im Buch nicht als solche genannt, sondern wurden von uns zusammengestellt. Wir hoffen, nichts übersehen zu haben.
Interesse geweckt?
Wenn du noch etwas mehr über einzelne Aspekte des Buches erfahren willst, schau doch mal auf unserem Instagram-Profil vorbei. Dort haben wir die Themen Erwachsenwerden, stereotype Mutter- und Vaterrollenbilder und Weihnachten als familiäres Problemfeld anhand der Lektüre genauer unter die Lupe genommen.
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