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  • AutorenbildTanja

Nobelpreis an Louise Glück...

Aktualisiert: 20. Okt. 2020

..."für ihre unverwechselbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell macht."


Am 8. Oktober 2020 wurde in Stockholm der diesjährige Nobelpreis für Literatur verliehen. Am nächsten Morgen titelten unzählige deutsche Medien: "Wer ist Luise Glück?" Die Gewinnerin ist hierzulande unbekannt, die letzte Übersetzung eines ihrer Werke ins Deutsche erschien 2008 ("Wilde Iris", übersetzt von Ulrike Draesner). Das dürfte sich nun ändern.



Louise Glück - Die Frau hinter dem Preis

Leider haben wir selbst die Gedichte von Louise Glück noch nicht gelesen. Da wir die Nobelpreisträgerin jedoch auch auf unserem Blog würdigen möchten, haben wir einige Aspekte recherchiert, die wir dir hier vorstellen. Die zugrundeliegenden Artikel werden wir am Ende des Blogposts verlinken.




Louise Glück wurde 1943 in New York geboren, hinein in eine Familie, die ihrer Tochter zwar das Studium am Sarah Lawrence College und der Columbia University ermöglichte, sie emotional jedoch nicht auffangen konnte. Vor Louises Geburt war ihre ältere Schwester verstorben, was einen Schatten auf das Familienleben warf. Die psychologische Behandlung, in die sich die junge Frau begab, war unter anderem auf ihre Magersucht zurückzuführen, die sie selbst in "Proofs & Theories: Essays on Poetry" als Versuch der Loslösung von ihrer Mutter charkterisierte. Auch in anderen Werken, z.B. "Dedicated to Hunger" schrieb sie über ihre Krankheit.


Das schwierige Familienverhältnis setzte sich auch im Erwachsenenalter fort, u.a. in einer distanzierten Beziehung zu ihrem eigenen Sohn. Diese und weitere schmerzhafte Erfahrungen wie den Brand ihres Hauses und den Tod ihres Vaters verarbeitete sie ebenfalls in ihren Gedichten. "Es gibt immer etwas, was man aus Schmerz machen kann", schrieb sie 1968 in "First Born". Stereotyp weibliche Themen? Womöglich. Doch ihr Stil ist nicht blumig, emotional, wie es Lyrikerinnen oft unterstellt wird. Sie schreibt einfach, benutzt wenige Fremdworte und schließt so mit ihrer Sprache an die Themen des Alltags an, mit denen sich viele Menschen identifizieren können. Zudem verweigert sie sich dem literarischen Lächeln und der Romantik, die Frauen so oft abverlangt werden und thematisiert stattdessen ernste, psychologische, deprimierende Themen. "Das ist eine Lyrik, die hat gedankliche und geistige Tiefe, die hat nichts Süßliches an sich", befindet ihre deutsche Übersetzerin Ulrike Draesner im Spiegel-Interview.


Für ihre Gedichte, die klassisch an die griechische Mythologie und antike Form angelehnt sind und thematisch großteils das Persönliche dem Politischen vorziehen, wurde sie 1993 mit dem Pulitzer Preis und 2014 mit dem National Book Award ausgezeichnet.



Der Literatur-Nobelpreis aus feministischer Sicht


Seit 1901 wird der Literatur-Nobelpreis verliehen, insgesamt 117 Preisträger*innen gab es seither. Die Schwedische Akademie, die den Preis verleiht, weist eigens auf ihrer Website darauf hin, dass sich darunter 16 Frauen befinden - eine Rate von 13,68%. Warum dieser traurige Wert hervorgehoben wird, bleibt unbegründet. Liegt es am Seltenheitswert weiblicher Nobelpreisgewinnerinnen oder soll es eine Art "Schuldeingeständnis" dafür sein, dass so viele großartige Schriftstellerinnen über die Jahrzehnte hinweg im Schatten ihrer männlichen Konkurrenten zurückbleiben mussten? Sonstige Kategorien (von jüngste*r und älteste*r Gewinner*in mal abgesehen) werden nicht explizit aufgelistet.


Die erste weibliche Preisträgerin war 1909 Selma Lagerlöf, es folgten 1926 Grazia Deledda, 1928 Sigrid Undset, 1938 Pearl S. Buck, 1945 Gabriela Mistral, 1966 Nelly Sachs, 1991 Nadine Gordimer, 1993 Toni Morrison, 1996 Wisława Szymborska, 2004 Elfriede Jelinek, 2007 Doris Lessing, 2009 Herta Müller, 2013 Alice Munro, 2015 Swetlana Alexijewitsch und 2018 Olga Tokarczuk (vergeben 2019) und nun, 2020, Louise Glück. Nur zwei dieser Frauen sind/waren nicht weiß.


Es ist ersichtlich, dass der Frauenanteil unter den Preisträger*innen ab den 1990er Jahren deutlich ansteigt. Möglicherweise ein Grund zur Freude und Hoffnung für die kommenden Jahre. Gleichzeitig muss allerdings erwähnt werden, dass der Nobelpreis im Jahr 2018 nicht verliehen wurde, da die #metoo-Bewegung auch nicht vor den schmuckvollen Toren der Schwedischen Akademie und der so illustren Gesellschaft Halt machte. 18 Frauen wandten sich an die Öffentlichkeit, da Jean-Claude Arnailt, der Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson, sie sexuell belästigt hatte - von unsittlichen Berührungen bis hin zur Vergewaltigung. Zahlreiche Mitglieder des Komitees traten daraufhin zurück. Der Täter wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt - ein fraglos lächerliches Strafmaß.


Die Jury für den Nobelpreis 2020 bestand aus Anders Olsson (Professor der Literaturwissenschaft an der Universität Stockholm, Literaturkritiker und Schriftsteller), Per Wästberg (Schriftsteller) und Jesper Svenbro (Lyriker und klassischer Philologe), ergänzt durch Mats Malm (Skandinavist, Literaturhistoriker, Hochschulprofessor sowie Übersetzer) - alle männlich und weiß. Unterstützt wurden sie von drei Spezialist*innen, von denen immerhin zwei weiblich sind: Mikaela Blomqvist und Rebecka Kärde. Doch reicht das aus?


Unser Fazit


Zwei Jahre nach #metoo und im Zuge der endlich generierten Aufmerksamkeit für die Black Lives Matter Bewegung hätte man sich in diesem Jahr vermutlich modernere, gewagtere, diversere Ergebnisse und größere Brüche mit den Konventionen gewünscht. Für Louise Glück, die sich selbst überrascht zeigte ("Ich hätte niemals gedacht, dass sie den Preis an eine weiße, amerikanische Poetin geben."), freuen wir uns selbstverständlich trotzdem. Zeit, aus den bisher lediglich amerikanischen Spotlights herauszutreten!


Literatur:


- Christina Dongowski am 08.10.2020 in taz.de: https://taz.de/Literaturnobelpreis-2020/!5715718/


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