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  • AutorenbildLuca

Deine Liebe fühlte sich an wie Hass von Olivia Rayne

Nach unserem Protest im Dezember hatten wir eine Nachricht des Lübbe Verlags in unserer Inbox. Sie bedankten sich für unsere Arbeit und schickten einen Link zu „Deine Liebe fühlte sich an wie Hass“, mit der Frage ob wir dieses Buch lesen möchten. Der Untertitel „Meine Mutter, die Psychopathin“ ließ uns erst mal stocken, da wir uns nicht sicher waren, ob die Thematik letztendlich zu unserem Blog passen würde.


Dennoch war unser Interesse geweckt und wir dachten, es wäre nicht verkehrt sich über den eigenen Horizont hinaus mit dem Thema zu befassen. Drei Tage später trudelten die Bücher bei uns ein und wir waren voller Vorfreude, da wir nun wohl offizieller Teil der bookstagram-Community waren.


Es war mein erster Erfahrungsbericht in dieser Richtung, von daher war ich nicht ganz sicher, was mich erwarten würde. Das Cover und der Titel hatten mich nicht überzeugt, da ich das Gefühl hatte durch die Darstellung sollte ich bereits, bevor ich auch nur den ersten Satz gelesen hatte, Mitleid mit der erzählenden Person empfinden. Ich fühlte mich bevormundet. Dieses Gefühl, so stellte sich heraus, war Dauerzustand in Olivias Leben, im Nachhinein also eigentlich der perfekte Einstieg in ihre Erfahrungswelt.



Buchcover, erschienen bei Bastei Lübbe

Zum Inhalt

Trigger Warning!


Olivia Rayne wächst als Tochter eines britischen Lehrers und einer französischen Künstlerin auf. Sie wird in ihrem Leben oftmals um ihre Mutter beneidet, die ihr teure Geschenke schickt und immer so aufmerksam scheint. Diese Äußerungen tut Olivia meist mit einem falschen Lächeln ab, da sie weiß, was sich hinter der perfekt sitzenden Maske ihrer Mutter verbirgt. Aber gerade wegen dieser, ist es fast unmöglich Menschen, die ihre Mutter nur oberflächlich kennen, davon zu überzeugen, dass ihr wahres Gesicht überhaupt nicht makellos, sondern verzerrt und grausam ist.



Josephine hält diese Fassade auch jahrelang für ihre Tochter aufrecht, indem sie vermeintliche Schnappschüsse von glücklichen Momenten wie ein Schutzschild um sich versammelt. Sobald ihre Tochter also etwas „falsch“ gemacht hat, zeigt sie diese als Beweisstücke für ihre hervorragende Mutterschaft oder wahlweise für die Verdorbenheit Olivias.


Mit der Beschreibung eines dieser Fotos beginnt die Erzählung. „Auf dem Foto sind mein Cousin, meine Cousinen, mein Großvater, meine Mutter und ich abgebildet. Wir befinden uns im Wohnzimmer. Ich sitze auf der Couch, meine Mutter kniet dahinter und umarmt mich. Ihr Kinn ruht auf meinem Kopf, ihr lockiges Haar bedeckt meine Schultern, und sie strahlt in die Kamera (…) Meine Hände sind ineinander verschränkt, meine Augen glänzen, meine Wangen sind gerötet, und mein kleiner rundlicher Bauch zeichnet sich stramm unter meinem Samtkleidchen ab. Vor uns liegen zerrissenes Geschenkpapier, Puzzlestücke, Spiele und neue Bücher auf dem Teppich (…)“ eine ausgelassene Weihnachtskulisse, Olivia ist drei Jahre alt. Sie erinnert sich an das Fangenspielen mit ihrem Cousin und ihren Cousinen, an das Essen. Woran sie sich nicht erinnert, ist das, was ihre Großmutter ihr gut 20 Jahre später über den nächsten Morgen erzählt. Sie kam in das Wohnzimmer, in dem ihre Eltern mit ihr unterbracht waren, doch konnte Olivia nicht sehen. Sie erkundigte sich nach ihrer Enkelin, worauf hin Josephine trocken meinte, dass sie im Badezimmer eingesperrt sei, weil sie die ganze Nacht gequengelt hätte. Es stellt sich heraus, dass das kleine Mädchen eine Mittelohrentzündung und starkes Fieber hatte. Ihre Mutter hatte sie mitten in der Nacht ins Bad getragen, ihre Schreie und ihr Weinen ignoriert, sie auf den kalten Platten schlafen lassen. Sie empfand ihre Tochter als lästig, als undankbar. Dieser Vorfall sollte nicht der einzige bleiben, den Josephine durch die inszenierten Erinnerungen verheimlichen würde.


Die Kapitel werden jeweils durch ein psychopathisches Merkmal eingeleitet, das kurz umschrieben wird. Es geht um oberflächlichen Charme, Verantwortungslosigkeit, Täuschung oder Nervenkitzel. Jedem dieser Merkmale ist ein Kapitel gewidmet, in dem es am Verhalten ihrer Mutter beschrieben wird. Immer wieder langweilt sie sich, sodass die Familie von Großbritannien nach Martinique von dort wieder nach London, dann nach Berlin und letztendlich nach Monaco zieht. Dass andere Menschen in ihrem Umfeld für Josephine nur Spielbälle und Besitz sind, erkennt man auch daran, dass sie ihren Ehemann mitten im Schuljahr auf Martinique sitzen lässt. Sie ist eine pathologische Lügnerin, gibt ihrem Mann die Schuld am Umzug, obwohl sie bei ihren Arbeitgebern gestohlen hat und Ärger mit der Polizei hatte. Mit den Umzügen versucht sie ihre Tochter auch immer wieder aus ihrem sozialen Umfeld zu reißen, sobald sie bemerkt, dass sie selbstbewusster und eigenständig wird.


Olivia entwickelt schon früh ein Gespür für die „Launen“ ihrer Mutter, so wie sie es zu Beginn noch nennt. Sie erkennt ihr schmallippiges Lächeln als Anzeichen für einen Umschwung, spürt ihren intensiv bohrenden Blick durch den Raum, wenn ihre Mutter der Meinung ist, sie verhält sich nicht angemessen. Ein Überlebensinstinkt, den sie bereits als Achtjährige perfekt beherrscht. Leider bereitet er sie nur auf das Kommende vor und kann es nicht abwenden. So sehr wie sie versucht herauszufinden, was sie in den Augen ihrer Mutter falsch gemacht hat, nie kann sie sie zufriedenstellen. War sie zu ausgelassen? Hat sie sich zu wenig überschwänglich bedankt? Als Antwort kommt im besten Fall „Du weißt genau was du falsch gemacht hast“ und sie wird mit Liebesentzug bestraft. Bei heftigeren Ausrastern sperrt Josephine ihre Tochter auch noch ein. Sie soll dann darüber nachdenken, was sie getan hat, bekommt nichts zu Essen und muss sich danach übertrieben erniedrigend bei ihrer Mutter entschuldigen. Dieses Muster zieht sich durch ihre gesamte Jugend. Olivia leidet so sehr darunter, dass sie eines Tages, als sie im Auto eingesperrt wird, anfängt ihre Haut oberflächlich, durch das Ausreißen von Härchen zu verletzen.


Die Gewalt (egal ob psychisch oder physisch) ihrer Mutter fand ich mindestens genauso schwer zu ertragen, wie das Nichtstun ihres Vaters. Dieser schaut und hört regelmäßig weg. Ein gebrochener Charakter, der als Schoßhund Josephines genau das macht, was sie von ihm verlangt. Er ignoriert sogar seine Tochter, wenn sie es von ihm verlangt. Olivia ist also vollkommen auf sich alleine gestellt. Dennoch lässt sie keine Vorwürfe ihm gegenüber laut werden, sie wertet sein Verhalten nicht, sondern beschreibt es nur.


Einen „Safespace“ findet die mittlerweile Jugendliche jedoch. In einem Feriencamp in Kanada kann sie während der Sommerferien kurzzeitig unbeschwert sein. Sie berichtet davon, wie lustig alle Teilnehmenden sie finden. Eine Stelle im Buch ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben. Sie bringt ein unterschriebenes Paddel mit nach Hause, beim Lesen der Widmungen meint ihr Vater: „„Das lustigste Mädchen im Camp? (…) Du?“ Ich lächelte angespannt und fühlte mich etwas traurig. Selbst mein eigener Vater kannte meinen wahren Charakter nicht.“ Olivia ist bei ihren Eltern immer bemüht eine Rolle zu mimen, die ihrer Mutter nicht missfällt, sodass sie sich als Person, als Individuum erst entfalten kann, als sie von ihnen getrennt ist. Den Menschen, die eigentlich ihr Kind in der persönlichen Entwicklung unterstützen sollten. Olivia besucht das Camp mehrere Sommer hintereinander, kommt gestärkt zurück, sodass ihre Mutter letztendlich auch dort eindringt um die Kontrolle über das Leben ihrer Tochter zu behalten. Als Olivia 16 ist, darf sie selbst als Betreuerin im Camp agieren, was mit einem längeren Aufenthalt einhergeht. Ihre Mutter versucht zwar schon die Abreise zu verhindern, doch scheitert. Sie verfolgt ab da einen anderen Plan. Von Frankreich aus schreibt sie Mails an alle Verantwortlichen des Camps und unterstellt ihrer Tochter pädophile Neigungen.


Neben den Narben an ihren Armen hat Olivia ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein, sodass sie sich von Typen ausnutzen lässt, die ihr etwas schenken, was sie als Liebe missinterpretiert. Das führt dazu, dass sie in ihren frühen Zwanzigern in einer toxischen Beziehung landet.


Spätestens hier war dann auch der Bogen zu unserer Aktion geschlagen. Die Belastungen, die Gewalt und die Lieblosigkeit, die sie in ihrem Leben erfahren hatte, resultierten darin, dass sie sich der Rolle fügte, die ihre Mutter ihr aufgedrückt hatte. Sie war mittlerweile davon überzeugt, dass Liebe mit Gewalt einherging, das sie es nicht anders verdiente.


Olivia Rayne ist trotz der Tortur, die sie durchlebte und immer noch durchlebt zu einer charakterstarken Frau herangewachsen, die sich aus den Fängen ihrer Mutter befreien konnte. Zumindest so weit es ihr möglich war, denn ganz wird Josephine sie nicht gehen lassen. Auch wenn sie ihre Mutter mittlerweile auf allen privaten Telefon- und Mailadressen blockiert hat, kommen dennoch immer wieder Hassmails bei ihrer Arbeitsadresse an. So wurde sie von ihrem Liebling, Schatz oder Engelsgesicht zu einer verdammten Schlampe, einer dummen Hure sowie einem bedauernswerten Fehler. „Ich war ihr Herz, ihre Blume, die Liebe ihres Lebens, aber auch eine Nutte, eine Perverse, Ungeziefer, das es zu vernichten galt.“


Treffender als Olivia selbst in ihrer Danksagung, kann ich ihren Kampf kaum beschreiben. „Und zu guter letzt: Danke an meine Mutter. Sie hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin – auch wenn es keine Absicht war.“

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