top of page
  • AutorenbildTanja

In der Männer-Republik von Torsten Körner

Aktualisiert: 4. Okt. 2021

Weißt du wer Waltraud Schoppe ist? Oder Rita Süssmuth? Oder Christa Nickels? Oder wer Petra Kelly war? Keine Sorge, wussten wir größtenteils auch nicht - bis wir "In der Männer-Republik" von Torsten Körner gelesen haben. Für Einsteiger*innen, die sich mit der deutschen Politikgeschichte der Nachkriegszeit nicht so gut auskennen, ist dieses Buch eine wahre Fundgrube an Empowerment, Pionierinnen, weiblichen Vorbildern und ihren Kämpfen und teilweise Unglaublichem - mit Blick auf die Widerstände, denen sie gegenüberstanden. Wir sind uns aber sicher, dass auch Fortgeschrittene hier noch etwas Neues erfahren oder sich in einem neuen Kontext an bereits Bekanntes zurückerinnern können.


Worum geht's?


Dass Politik lange eine reine Männerdomäne war, wissen wir von alten schwarz-weiß Bildern der deutschen Würdenträger, aus dem Geschichtsunterricht in der Schule und von eigentlich allen Erzählungen über die Rolle von Frauen oder politische Ereignisse im 20. Jahrhundert (und davor sowieso). Aber es gab sie, die Frauen, die sich vorwagten in die Regierungskreise der von Männern beherrschten Bonner Republik. Leider hören wir von ihnen viel zu selten. Dass die vier Mütter des Grundgesetzes beispielsweise im schulischen Kontext mit keinem Wort erwähnt wurden und dass die Hauptverkehrsstraßen im Herzen Bonns nur nach Männern benannt sind, während die frühen Parlamentarierinnen Straßennamen in Neubaugebieten in Stadtrandlage abbekamen, spricht Bände.


Torsten Körner, der sich bisher Biografien einflussreicher weißer Männer gewidmet hat, hat sich 2020 diesem Thema angenommen und versucht eine umfassende, wenngleich natürlich nicht vollständige, Geschichte der Frauen in der Bonner Republik nachzuzeichnen. Er geht dabei auf viele Einzelpersonen ein, einige davon hat er für das Buch interviewt, lässt sie also auch selbst zu Wort kommen. Er lenkt den Blick auf ihren Mut und ihre Fortschrittlichkeit, genauso wie auf die konventionell eingestellten, teilweise peinlich machohaften männlichen Gegenspieler, denen sie sich stellen mussten um für die Frauenbewegung einzustehen und/oder sich einen Namen zu machen.


Kritikpunkte: Wenn Männer über Frauenthemen schreiben


Ein erster kleiner Kritikpunkt am Buch an sich (bevor wir zum feministischen Lesen übergehen) war für uns der Aufbau. Da wir ziemlich neu in dieser Materie waren, fanden wir es schwer allen Ausführungen zu folgen. Denn das Buch ist weder chronologisch aufgebaut (nur Angela Merkel steht als Verbindung zum Heute am Ende des Buches), noch widmen sich die einzelnen Kapitel einer bestimmten Person. Stattdessen werden die Protagonistinnen gemeinsam behandelt, ihre Verbindungen offengelegt, ihre Unterschiede betont. Was für das Gesamtverständnis durchaus gewinnbringend sein mag, ist für Einsteiger*innen manchmal verwirrend. Man muss ein paar Seiten zurückblättern, nochmal nachlesen, wer diese Person denn war, welche Anliegen sie hatte, welcher Partei sie angehörte, welchem Kanzler sie zugetan oder abgeneigt war und sich überlegen in welchem vorherigen Kapitel sie schon einmal vorgekommen ist. Mit etwas Geduld und evtl. zusätzlicher Recherche lässt sich dieses Hindernis im Lesefluss aber durchaus überwinden.


Nun zu unserer feministischen Kritik. Bei Instagram haben wir ein paar Gedanken dazu geteilt, wie es sich für uns anfühlt das Buch eines weißen cis Mannes für einen feministischen Buchclub ausgewählt zu haben, schenken wir doch sonst eher weiblichen oder queeren Autor*innen unsere Aufmerksamkeit. Die Reaktionen unserer Follower:innen waren befürwortend: Umso besser sei es doch, dass auch Männer sich wichtigen feministischen Themen widmen. Wir wollen dem Gedanken gar nicht widersprechen. Das Ausschließen weißer cis Männer aus feministischen Diskursen halten wir für wenig sinnvoll, da letztlich sie es sind, die ihre Privilegien hinterfragen und beim Verändern des Systems mithelfen müssen. Trotzdem sollten wir im Kopf behalten, wer finanziell und in Sachen Bekanntheit von diesem Buch profitiert: eine Person, die aus einer privilegierten Situation heraus über eine marginalisierte Gruppe schreibt, sie einordnet, bewertet. Torsten Körner positioniert sich zu Beginn des Buches aber zu dieser Konstellation, was wir positiv erwähnen möchten.


Alle feministischen Leser*innen werden jedoch an einigen Stellen des Buches stolpern. Am auffälligsten war für uns einerseits die Sprache, die durchgehend dem generischen Maskulinum folgt, wenn es um eine Gruppe von Menschen verschiedener Geschlechter geht: die Wähler, die Bürger, die Politiker (wenn nicht ausschließlich die thematisierten Politikerinnen in ihrer Rolle als Frauen gemeint sind). Gerade bei einem solchen Thema halten wir geschlechtergerechte Sprache für absolut notwendig. Es fehlen außerdem Triggerwarnungen (wir reichen diese für den Inhalt des Buches am Ende des Blogposts nach). Des weiteren folgt das gesamte Buch einer strikt binären Sichtweise (es geht nur um Männer und Frauen und diese Tatsache wird auch an keiner Stelle kontextualisiert) und ist weiß dominiert - wie auch der Bundestag es zu dieser Zeit war.


Triggerwarnung für die folgenden zwei Absätze: Mord, Femizid, Sexualisierung


Dazu kommen ein paar wenige Stellen, an denen auffällt, dass der Autor nicht aus der feministischen Bubble kommt, in der wir uns bewegen und deren Standards sich sonst oft in den Büchern widerspiegeln, die wir lesen. Ein Beispiel dafür ist die Thematisierung des Mordes an Petra Kelly, die von ihrem damaligen Mann umgebracht wurde. Statt ausdrücklich von einem Femizid zu schreiben (der Mann sei wohl davon ausgegangen, dass seine Frau nicht ohne ihn klarkommen würde), findet die Argumentation Raum er hätte sie aus Liebe getötet. Diese Auslegung ist grundsätzlich falsch. Einen Menschen, den man liebt, tötet man nicht. Außerdem wird durch diese Darstellungsweise des Mordes als "Familiendrama" oder "Liebesdrama" nicht genügend darauf eingegangen, dass bei solchen Fällen deutlich häufiger Männer die Täter und Frauen Opfer sind als umgekehrt. Diese Art des Mordens hat System. Man nennt es Femizid.


An einer weiteren Stelle geht es um eine Politikerin, die nach einer Rede im Parlament gefragt wurde ob sie einen BH trage, da ihre männlichen Kollegen darum gewettet hätten. Außerdem wurde sie ungefragt am Rücken berührt, um ihre Aussage zu bewahrheiten. Die Presse erhielt Informationen zu diesem Vorkommnis und thematisierte es öffentlich, was der Politikerin sehr unangenehm war - auch, weil sie fürchtete man könne annehmen sie selbst hätte es öffentlich gemacht. Der Autor schreibt an dieser Stelle davon, dass es aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar sei, dass es der Frau peinlich war und nicht dem Mann, der sie angesprochen und angefasst habe. Tatsächlich halten wir das nicht für abwegig. Auch heute müssen sich Frauen noch für ihre Sexualisierung (nicht zuletzt im beruflichen Umfeld) schämen. Auch wenn das Thema häufiger angesprochen wird als früher, ist es noch immer äußerst schambehaftet. Dem Autor ist dies scheinbar fremd.


Ende der Triggerwarnung


Wir möchten an dieser Stelle aber nicht nur die Kritikpunkte stehenlassen, da sonst ein einseitiges Bild entstünde. Diese einzelnen Stellen sind uns beim Lesen aufgefallen. Es waren aber nur sehr wenige, verteilt auf knapp 350 Seiten. Alles in allem halten wir das Buch also durchaus für gelungen und lesenswert. Der Autor arbeitet reflektiert, lässt die Sichtweisen seiner Interviewpartnerinnen auch wörtlich mit einfließen, kritisiert die männlichen Zeitgenossen scharf. Übrigens befindet auch Margarete Stokowski: "Ein sehr lesenswertes Buch.", was ja für gewöhnlich immer ein gutes Zeichen ist.


Buch lesen oder Film schauen? Am besten beides!


Ende August 2021 ist der Film "Die Unbeugsamen" in die Kinos gekommen. Regisseur ist Torsten Körner, der die Interviews mit den (ehemaligen) Politikerinnen für sein Buch auch filmisch begleitet hat. Außerdem liefert der Film spannende Originalaufnahmen von Reden im Parlament oder anderen historischen Quellen. Es fällt demnach im Film auch etwas leichter als im Buch sich die einzelnen Protagonistinnen zu merken und sie gedanklich zuzuordnen. Andererseits bietet das Buch deutlich mehr Kontext, die Hintergründe zu Zitaten, Aussagen und Reden, Einordnungen bestimmter Vorkommnisse. Diese kann der Film (auch zeitlich bedingt) nicht zur Genüge liefern.


Wir haben uns, nach der Lektüre des Buches, gemeinsam den Film angeschaut und finden: Er ist sehr gelungen. Torsten Körner hat einen schönen künstlerischen Anspruch, was sich im Film mit kleinen Sequenzen von Stilleben, Architektur, Landschaften zeigt - ästhetisch ansprechend und voller Symbolik. Die Politikerinnen damals in Aktion zu sehen - und jetzt heute als Interviewpartnerinnen - ist sehr interessant und in ihren Sichtweisen auf die Vergangenheit liegt jede Menge Weisheit und nicht zuletzt Empowerment. Wir hatten während des Films immer wieder das Bedürfnis zu klatschen, angesichts der großen Worte, die teilweise auch heute noch aktuell zu sein scheinen. Und nicht selten wurde es laut im Saal, wenn abwertende Kommentare oder Gesten der männlichen Politiker dargestellt wurden.


Die Entscheidung ob Film oder Buch liegt also einerseits bei dir, andererseits musst du dich gar nicht entscheiden: Wir empfehlen beides.


Triggerwarnungen für das Buch: Sexismus in all seinen Facetten, sexualisierte Gewalt, Abtreibung, Homofeindlichkeit, Misogynie, Femizid, Mord, Suizid, Krieg, Reproduktion des rassistischen Begriffs für Native Americans


60 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page