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  • AutorenbildTanja

Exkurs Serie: "Hübsches Gesicht" von Antonia Leyla Schmidt

Beim Filmfestival Max Ophüls Preis gibt es Filme aus verschiedenen Wettbewerbs-Kategorien zu sehen: Spielfilme, Dokumentarfilme, mittellange Filme und Kurzfilme. Diese Vorstellungen haben - ohne Frage - das größte Publikum und konkurrieren um die zu vergebenden Preise. Es gibt aber auch einige Reihen, die außer Konkurrenz gezeigt werden. Eine davon ist "MOP-Visionen", in der dieses Jahr zwei Nachwuchs-Produktionen im Serien-Format vorgestellt wurden. Quasi ein Blick über das Kino und den Film hinaus - was in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen sicher ein Blick in die Zukunft ist. Denn wer von uns sitzt schon häufiger im Kino als beim Streaming auf dem Sofa? Und genau deshalb will ich dir eine der beiden Produktionen aus den "MOP-Visionen" heute vorstellen. Und die kannst du nach dem Lesen auch direkt selbst streamen, sofern du Abonnent*in von RTL+ bist.


Worum geht's?


Wer sich - sei es aus persönlichen Erfahrungen oder aktivistischer Bildung heraus - schon einmal mit dick_fett-Feindlichkeit beschäftigt hat, kann am backhanded compliment im Titel (also einer als Kompliment getarnten Beleidigung) vermutlich schon das Kernthema erkennen, worum es in dieser Serie geht. Gigi (Dilara Aylin Ziem), die gerade ihren Bachelor-Abschluss geschafft hat, wird von ihrem Freund zu einem Überraschungs-Urlaub eingeladen. Doch als sie die Augenbinde am Ende der Fahrt abnehmen darf, stellt sich heraus, dass sie ohne ihr Wissen in ein "Fat Camp" verfrachtet wurde. Der Freund ist sich sicher, dass sie so zu einer besseren Gigi werden wird, denn sie sei zwar die Frau seiner Träume, aber aus ihrem "hübschen Gesicht" könne man doch noch mehr machen.


So weit, so problematisch. Die - wenn auch etwas unschlüssige - Erleichterung für alle dick_fetten und diskriminierungssensiblen Zuschauer*innen folgt relativ schnell: In diesem (sich selbst so bezeichnenden) Fat Camp geht es nicht in erster Linie darum Gewicht zu verlieren, sondern sich mit dem eigenen Körper und dem Wohlbefinden darin auseinanderzusetzen. Es werden gesellschaftliche Vorurteile aufgearbeitet (zum Beispiel in Form einer Selbsterkenntnis-Übung der Camp-Besucher*innen, in der zahlreiche Gründe für Mehrgewichtigkeit gesammelt werden, die dem Vorurteil der Faulheit widersprechen) und im Laufe der sechs Folgen (die je nur 15 Minuten dauern) verschiedene Erfahrungen aufgegriffen, die dick_fette Personen vermutlich bestens kennen - von Diskriminierung beim Arzt*Ärztinnen-Besuch bis hin zu ungläubigen Blicken und Fetischisierung dick_fetter Körper, wenn es um romantische und / oder sexuelle Beziehungen geht.


Warum ich das Ganze gerade als unschlüssig bezeichnet hab? Mir persönlich hat sich nicht ganz erschlossen, warum sich ein solches Camp "Fat Camp" nennen sollte und warum bspw. regelmäßige Sport-Einheiten auf der Tagesordnung stehen, wenn es nicht um Gewichtsverlust gehen soll. Auch der Beginn der Story hat für mich keinen Sinn ergeben: Nachdem Gigi versteht wo sie gelandet ist, will sie das Camp sofort wieder verlassen. Allerdings ist der Akku ihres Handys leer, sodass sie an der Rezeption darum bittet, das Festnetz-Telefon benutzen zu dürfen. Camp-Leiter Benny, dessen Rolle irgendwie zwischen Vertrauensperson und unsympathischem Aufsichtspersonal pendelt, will ihr den Anruf aber nur erlauben, wenn sie sich vorher - offensichtlich gegen ihren Willen - für den Aufenthalt einschreibt. Diese Einführung passt für mich nicht zum "wahren Sinn" des Camps, der sich Stück für Stück zeigen soll.



Filmstill aus "Hübsches Gesicht" © Benno Kraehahn


Ist die Serie jetzt gut oder schlecht?


Wer bereit ist über diese Fragezeichen in der Story Line hinwegzusehen (oder das Ganze einleuchtender findet als ich), wird mit "Hübsches Gesicht" auf jeden Fall unterhaltsame 1 1/2 Stunden verbringen. Obwohl diskriminierende Erlebnisse reproduziert werden, wird mit Comedy-Elementen und Side Lovestories versucht eine Feel-Good-Atmosphäre zu schaffen, die das Hauptthema aber nicht abwertet. Schön fand ich die Darstellung von Gigis Eltern, die als verlässlicher Support dargestellt wurden (nachdem Gigi ihnen endlich mitteilte, wo sie eigentlich ist). Dass die Autorinnen (Aylin Kockler und Ferdos Sililo-Simon) selbst aus ihrer Perspektive als mehrgewichtige Personen schreiben, verhindert zudem klischeehafte Auseinandersetzungen mit dem Thema à la "Du musst deinen Körper einfach lieben lernen". Generell geht es viel weniger um Body Positivity und sogar nicht mal so sehr um Body Acceptance, als um das Stärken des eigenen Charakters und die Abgrenzung gegen von außen einwirkender dick_fett-Feindlichkeit.


Dass eine Serie mit diesem Framing bei RTL+ Platz gefunden (und den Nachwuchswettbewerb Storytellers gewonnen) hat, würde ich persönlich als positive Entwicklung sehen. Generell kenne ich wenige Filme oder Serien, die sich sensibel mit dem Thema auseinandersetzen und in denen nicht auf Kosten einer*eines mehrgewichtigen Protagonist*in oder Side Characters gelacht wird. Dass ein Mainstream-Sender, der sonst u.a. bekannt ist für fragwürdige Dating-Sendungen mit normschönen Teilnehmer*innen, sich offen dafür zeigt, finde ich gut - auch wenn die Serie bisher nur online gezeigt wird.


Natürlich gibt es da noch viel Entwicklungspotenzial. Ich will Produktionen sehen, in denen mehrgewichtige Schauspieler*innen Rollen bekommen, in denen es nicht um ihren Körper geht - auch wenn sich das mit den Lebenswirklichkeiten dick_fetter Menschen nicht deckt. Filme und Serien können in diesem Bereich aber definitiv zur Sensibilisierung des Publikums und zur Repräsentation beitragen. Übrigens sind bei "Hübsches Gesicht" mehrere BPoC-Schauspieler*innen vertreten, bei denen genau diese Leitlinie schon umgesetzt wurde. Sie haben Rollen bekommen, in denen es nicht um ihre Hautfarbe und ihre Erfahrungen damit geht, sondern um ihre freundschaftlichen oder familiären Beziehungen zur Protagonistin. Man hätte für diese Rollen auch weiße Schauspieler*innen auswählen können, hat sich an dieser Stelle aber für einen diversen Cast entschieden.


"Wir möchten mit der Serie Sehgewohnheiten herausfordern und hoffen, dass sich besonders junge mehrgewichtige Menschen on screen repräsentiert fühlen", so Aylin Kockler. Und falls du noch etwas kritisch bist bezüglich des Comedy-Ansatzes, der da mitschwingt, kann dich ihre Erklärung dazu vielleicht beruhigen: "Das ernste Thema kombinieren wir dabei mit Comedy, indem wir den Humor nicht aus dem Mehrgewicht selbst, sondern aus dem Umgang mit Mehrgewicht ziehen. Auch wenn wir über uns selbst lachen können, so wollen wir mit der Serie zeigen: Unsere Körper allein sind noch längst keine Punchline."


Triggerwarnung für die Serie: Reproduktion von dick_fett-Feindlichkeit & Body Shaming


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