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  • AutorenbildTanja

Feminist Burnout

Aktualisiert: 15. Jan. 2023

Ich bin ausgebrannt.


In der Ukraine tobt seit vielen Monaten ein Krieg. Im Iran werden täglich Menschen hingerichtet, die dafür einstehen, dass Frauen ihre Haare in der Öffentlichkeit zeigen dürfen, wenn sie das möchten. Eine Revolution ist auf dieser Basis entstanden. Eine feministische. Gleichzeitig wird zu wenig über die FINTA in Afghanistan gesprochen. Im Mittelmeer sterben weiter Menschen, während die Rettungskräfte kriminalisiert werden. Und hier bei uns? Der Kohlekonzern RWE will ein Dorf abreißen, um noch mehr Bodenschätze baggern zu können. Die Politik hält ihm dabei den Rücken frei und Polizeikräfte aus ganz Deutschland werden zusammgezogen um Aktivisti vor Ort zu räumen - gewohnt feindselig, wie so manche Videos zeigen. Friedrich Merz äußert sein rassistisches Gedankengut öffentlich im Fernsehen und bei Social Media wird ihm Beifall geklatscht. Luke Mockridge kommt im April ins Saarland und seine Fresse grinst mich frech von jeglichen Plakatwänden in der Stadt an.


Und ich? Was mach ich denn? Seit Wochen hab ich kein Buch mehr aufgeschlagen. Ich habe plötzlich nicht mehr das Bedürfnis noch mehr zu lernen. Gleichzeitig habe ich auch nicht mehr das Gefühl, jemanden bei seiner eigenen, persönlichen Antidiskriminierungsbildung unterstützen zu können. Es fühlt sich so an, als würde ich entweder mit Menschen sprechen, die so denken wie ich - was meistens schön ist, uns aber nicht weiterbringt. Oder als würden Menschen mich prinzipiell nur provozieren wollen mit ihren konservativen Ansichten und diskriminierenden Aussagen und eigentlich gar nicht bereit sein, sich auf andere Standpunkte einzulassen und dazuzulernen, um andere nicht permanent anzugreifen und zu verletzen. Ich scheue Auseinandersetzungen. Unseren Instagram-Account, der vollends eingebettet ist in die feministische Bubble, hab ich schon länger nicht mehr genutzt. Hab aufgehört mich täglich zu informieren über die nächste Ungerechtigkeit und laut zu sein für alle, die dabei Unterstützung bräuchten. Ich habe nicht aufgehört mich zu echauffieren. Aber ich bin so müde von diesen Kämpfen im Kleinen, die andere im Großen führen und die trotzdem überhaupt keine Ergebnisse zu erzielen scheinen.


Ich lese wieder Kommentarspalten, was ich mir vor Jahren schon einmal abgewöhnt hatte, weil es mir nicht gut tat. Zwischenzeitig war ich zurück, hab Beleidigungen und den menschlichen Müll, der dort so schön anonym abgeladen werden kann, an mir abprallen lassen und in so vielen Situationen selbst kommentiert, diskutiert, widersprochen. Nicht weil ich dachte, ich könnte die Trolle umstimmen. Aber weil vielleicht jemand mitliest, die*der sehen soll, dass jemand widerspricht. Dass jemand bereit ist zu argumentieren, versucht sachlich zu überzeugen. Dachte es liest vielleicht eine Person mit, die bereit wäre nachzudenken, vielleicht anfängt sich zu informieren und Argumente für eigene Diskussionen annimmt - wenn auch nicht in den Kommentarspalten im Netz. Damit hab ich wieder aufgehört. Weil es mich emotional zu sehr mitnimmt. Ich bin nicht abgestumpft. Bei jedem rassistischen, sexistischen, ableistischen, klassistischen Kommentar, bei jedem "Geht ihr erst mal arbeiten" unter Videos der Lützerath-Aktivisti, bei jedem "Klimaterrorist" unter Beiträgen, in denen es um die letzte Generation geht, spüre ich meinen Puls. Mein Blut gerät in Wallung, sobald jemand schreibt, die jungen Leute seien halt einfach nur faul. Mein Kopf wird rot, meine Stimmung kippt in Sekundenschnelle. Wie oft fange ich an einen Kommentar zu tippen und lösche ihn dann doch wieder, weil ich nicht bereit bin für die Auseinandersetzung, die danach auf mich zukommt...


Und dann kommt diese innere Stimme, die mir enttäuscht zuraunt wie schwach ich bin. Ich sitze nicht in Lützerath in einem Baumhaus oder Tunnel. Ich organisiere keine Demo gegen Mockridges Auftritt. Ich riskiere nicht mein Leben für meine Überzeugungen. Ich poste nicht mal jeden Tag etwas über den Iran, leiste keine aktive Hilfe außer bequem mein Internet via Snowflake für Menschen in Zensur-Gebieten zur Verfügung zu stellen. Ich bin einfach nur online und selbst dort kaum noch Aktivistin, bin eher zur wütenden, traurigen Mitleserin geworden. Zumindest die Hass-Kommentare melden - die dann meistens doch nicht gegen die Gemeinschaftsrichtlinien von Instagram verstoßen.


Es fühlt sich an als bräuchte ich eine Pause. Eine richtige. Aber wer bin ich, dass ich mir erlaube mich vom Übel in der Welt einfach zurückzuziehen, in meinen Elfenbeinturm. Ich bin weiß, ich bin cis, ich bin hetero. Ich habe keine Behinderung, keine Erkrankung und lebe in einem vermutlich normschönen Körper. Ich erfahre keine Diskriminierung aufgrund meines Gewichts oder Aussehens. Aufgewachsen bin ich in einem bürgerlichen Umfeld der oberen Mittelschicht in einer intakten, liebevollen Familie, im Haus mit Garten. Ich habe mittlerweile einen Verlobten, mit dem ich eine wunderschöne, viel zu teure Sommerhochzeit plane. Wir haben einen Kinderwunsch. Ich habe einen Hochschulabschluss und einen gut bezahlten, bequemen Job, der körperlich nicht aufwändig ist. Ich wohne in einer schönen Wohnung, die sich nach Zuhause anfühlt und die ich mir problemlos leisten kann. Ich habe einen kleinen, aber sehr engen Freundinnenkreis mit very supportive people. Ich bin der Inbegriff von Privilegien.


Wie kann ich nur daran denken, mich zurückzunehmen und mir eine Auszeit zu gönnen, während so viele andere das nicht können?! BIPoC können nicht sagen, sie wollen mal ne Zeit lang nicht über Rassismus nachdenken. Die Iraner*innen können nicht mal ne Pause einlegen, während ihre Familie, ihre Freund*innen, ihre Nachbar*innen hingerichtet werden. Behinderte Menschen können nicht sagen, sie möchten das Thema Ableismus ein paar Monate hinten anstellen. Alleinerziehende berufstätige Mütter können nicht einfach die Füße hochlegen. Trans* und non-binary Personen können nicht ausgelassen feiern gehen ohne darauf zu achten, wo sie sicher sind und wo ihnen Gefahr droht.


Ich drehe mich gedanklich im Kreis und finde keinen Ausweg. Bade ich einfach nur im Selbstmitleid des White Feminism? Oder gibt es Wege, um zurück zu finden in einen Aktivismus, der nicht nur wehtut und enttäuscht, sondern tatsächlich etwas bewirkt? Helfe ich damit jemandem oder einfach nur mir selbst?

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