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Eure Heimat ist unser Albtraum von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah

Neues Jahr, neues Buch und ein neuer Vorsatz.


Auch wenn die meisten Neujahrsvorsätze zum Scheitern verdammt sind, sind wir nicht daran vorbei gekommen, zumindest einen für 2022 in Angriff zu nehmen. Wir wollen also in diesem Jahr einen noch intersektionaleren Schwerpunkt setzen. Einige Themenkomplexe stehen bei uns schon länger auf der Liste und die wollen wir jetzt angehen. Wir freuen uns riesig drauf, seid also gespannt was dieses Jahr alles so auf euch wartet.


Zum Januar-Buch


Den Anfang macht unser Januar-Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“. Die Essaysammlung widmet sich, wie der Titel schon vermuten lässt, dem Begriff der „Heimat“, stellt ihn dabei kritisch in Frage, spricht sich gegen ihn aus oder findet Erklärungsversuche, warum Heimat letztendlich nicht alle miteinschließt, die zumindest auf dem Papier eine Heimat in Deutschland haben sollten. Die 14 Autor:innen sprechen dabei aus der Perspektive von Menschen, die mit rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen oder generell diskriminierenden Erfahrungen in „ihrer“ Heimat konfrontiert sind.


Neben der Vielzahl an Blickwinkeln, die in dem handlichen, fliederfarbenen Buch geboten werden, wird man auch noch mit den unterschiedlichsten Schreibstilen und persönlichen Erzählweisen bereichert. Mal werden ganz persönliche Erfahrungen geteilt, mal werden Einzelschicksale oder Statistiken in den Vordergrund gerückt. So erhält man (auch) als nicht betroffene Person einen tiefen Einblick und dazu unfassbar breitgefächertes Wissen. Ein Pluspunkt, der bei unserer Buchbesprechung aufkam, ist zudem, dass man, auch wenn man mit dem Schreibstil von einer:einem Autor:in nicht zurechtkommt, immer noch 13 andere Essays zur Verfügung hat, über die man einen Zugang zur Thematik finden kann. Ähnliches gilt für den „Schwierigkeitsgrad“. Egal ob man gerade erst anfängt sich mit den Perspektiven von marginalisierten Gruppen in Deutschland auseinanderzusetzen oder ob man schon „im Game“ ist, das Buch enttäuscht nicht. Ich und Tanja haben „Eure Heimat ist unser Albtraum“ für diesen Lesemonat bereits zum zweiten Mal gelesen, haben uns aber sicherlich nicht gelangweilt. Man wird auch nach mehrmaligem Lesen immer wieder auf neue Thematiken aufmerksam, die zuvor noch nicht greifbar waren. Somit erwirbt man mit diesem Buch ein Evergreen.


Mit Sabine hatten wir diesen Monat ein Buchclubmitglied, das uns mit den Hörerfahrungen bereichern konnte. Das Hörbuch gibt es mittlerweile kostenlos auf diversen Hörbuchplattformen nachzuhören, darunter auch Spotify. Beim Hören ist ihr positiv in Erinnerung geblieben, dass die Essays größtenteils von den Autor:innen selbst eingelesen wurden. So konnte man nicht nur den Worten lauschen, sondern sie gleich auch so hören, wie sie gedacht waren.


Unsere Eindrücke


Nach diesem Höreindruck, werde ich nun auf einige Gesprächs- und Diskussionsansätze in mehreren Essays eingehen, die während unseres digitalen Treffens aufkamen. An dieser Stelle sei gesagt, dass ihr gleich keine Rezension lesen werdet, die sich mit jedem einzelnen Essay beschäftigen wird, schlichtweg, weil die Fülle der Inhalte meine Schreib- und Denkkapazität sprengen würde. Wir haben versucht viele Themen schon in unseren Insta-Posts zu verhandeln. Also wenn ihr hier eine Thematik nicht findet, die euch interessiert hätte, lohnt sich ein Blick auf unser Insta-Profil.


Okay, Ankündigung Ende; und los geht’s:


Ich rolle das Feld mal von hinten auf und beginne bei „Zusammen“ von Simone Dede Ayivi. Wir waren uns alle einig, dass der Essay, in dem eine rassistische Anfeindung vor einem Supermarkt geschildert wird, den empowerndsten Apell hatte. Das klingt jetzt erst mal absurd, aber stay with me.


Es bleibt nämlich nicht bei dem geäußerten Rassismus und der Beklemmung von Ayivi, die in diesem Moment abwägen muss, ob sie sich selbst ins Schussfeuer des Polizisten begibt um die beleidigte Person zu unterstützen. Noch bevor sie reagieren kann, sind es nämlich die Menschen im Umfeld, die sich äußern, die die Beleidigung als Rassismus enttarnen und sich mit der Person solidarisieren. Dieser exemplarische Moment der Solidarität ist es, über den wir uns unterhalten.


Ayivi spricht in ihrem Essay vom „Activist-Burnout“, bezeichnet damit das Gefühl alleine gegen die Dominanzgesellschaft ankämpfen zu müssen. Solch einen Burnout Moment hat wahrscheinlich schon jede:r von uns erlebt und deshalb ist es umso schöner, wenn eine Situation, so wie oben geschildet, nicht auf dem Rücken von Betroffenen ausgetragen werden muss. Das „Wir“ auf das die Autorin anspielt ist es, was wir bei Kundgebungen, auf Demos, in Foren, bei Whatsapp-Gruppen, Freund:innen oder Instagram Profilen suchen. Ein Hoffnungsschimmer, dass Aktivismus eben doch etwas bewirken kann, das man eine Gemeinschaft hinter sich vereint weiß oder schlicht das Gefühl hat eben nicht allein zu sein.


„Hätte ich gerne schon früher gewusst, welche Einflüsse auf mein Leben von Sexismus geprägt sind?“ Mit dieser Frage haben wir versucht uns an die zentrale Fragestellung von Sharon Dodua Otoo’s Essay „Liebe“ anzunähern. Hier lässt die Autorin uns in Gespräche mit ihrem Sohn Tyrell einblicken, der in Frage stellt, ob es wirklich so gut für ihn war, dass er von klein auf wusste, was Rassismus ist und wie er sich auf ihn, als Schwarze Person, auswirkt. Diese Erzählung zeichnet sich neben der spannenden Fragestellung, durch die Mutter-Sohn Dynamik aus, die zwei entgegengesetzte Scheinwerfer auf die Entscheidung Otoos wirft, ihren Sohn schon als Kind mit der Thematik Rassismus zu betrauen.

Auf der einen Seite hat man die Mutter, die selbst in ihrer Jugend und Kindheit unter rassistischen Zuschreibungen von außen litt, sie aber nicht zuordnen konnte. Ihren Sohn deshalb mit dem Wissen, dass es Rassismus gibt und wie er sich äußert, eine Waffe zu seiner Verteidigung an die Hand geben möchte. Auf der anderen Seite hat man den Sohn, der wegen seiner Awareness in der Schule immer wieder angeeckt ist, da er rassistische Zuschreibungen als solche erkennen konnte und sie auch benannt hat. Die weißen Mitschüler:innen und Lehrenden hingegen, waren sich ihres rassistischen Verhaltens nicht bewusst, reagierten defensiv, suchten das Problem bei ihm. Eine Zwickmühle. Egal wie man es macht, scheint eine „unbeschwerte Kindheit“ nicht so leicht umzusetzen zu sein. Zumindest nicht für Mitglieder von marginalisierten Gruppen. Ein weiteres Privileg, dessen wir uns (als weiße Personen) erst im Gespräch über den Essay bewusst wurden.


Und wenn wir schonmal bei „new privilege unlocked“ sind, schließe ich direkt mal noch eine Selbstreflexion mit an, die wir beim Lesen hatten. Auch wenn die Problematiken, die im Buch angesprochen wurden, für Gruppen gelten, die nicht zur Dominanzgesellschaft gehören, haben wir uns doch dabei erwischt, wie wir ab und zu dachten „Aber das geht uns doch auch so!“. White Fragility at its best (wie Natalie das schon in ihrem Leseeindruck so passend formuliert hat). Genau dort war dann wiederum der Wendepunkt, an dem uns klar wurde, dass wir uns gerade in eine mindestens genauso defensive Stellung begeben wie oben genanntes Lehrpersonal. Und nachdem wir dies reflektiert hatten, konnten wir das Gelesene besser einordnen und uns richtig auf die Perspektiven einlassen.


Abschließend lässt sich also eine klare Leseempfehlung unsererseits aussprechen. Neben den interessanten Diskussionsfragen, mit denen man aus der Lektüre raus geht und der Selbstreflexion, die das Buch angestoßen hat, bekommt man einfach ein total gutes, grundlegendes Werkzeug an die Hand. Die eigene Awareness wird (nochmals) geschärft und viele Thematiken sind durch den persönlichen Bezug einfach wunderbar konkret auf den Punkt gebracht.

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