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Detransition, Baby von Torrey Peters

Ich bin trans, aber ich muss nicht trans leben.


Wir haben im Juni einen auf Unternehmensmarketing gemacht und die queeren Inhalte passend zum Pridemonth rausgekramt. Spaß! Natürlich ist dieser Vergleich eher scherzhaft zu betrachten, denn im Gegensatz zu manchen dieser Firmen, beschäftigen wir uns das ganze Jahr lang mit queeren Perspektiven. Wir haben uns also aktiv dazu entschieden, das Thema „Sex Work“ in den folgenden Lesemonat zu schieben um Platz zu machen für den, im März auf Deutsch erschienenen, Roman „Detransition, Baby“ von Torrey Peters.

Aufmerksam geworden sind wir auf das Buch neben den Posts auf Bookstagram, die man so verfolgt, auch über das Interview der Autorin im Missy-Magazine.

Um das schonmal vorweg zu nehmen, nach unserer Besprechung des Buches waren wir alle riesige Fans. Aber von Anfang an.


Triggerwarnungen für den Blogpost: Deadnaming, Misgendering, Fehlgeburt, (sexualisierte) Gewalt


Worum geht's?


In dem knapp 450 Seiten langen Roman, der im heutigen New York angesiedelt ist, schwängert Ames seine Chefin Katrina. Für beide eine Überraschung. Was erst mal naiv klingt, denn man sollte davon ausgehen, dass zwei erwachsene Menschen im 21. Jahrhundert wissen, wie das mit den Bienchen und Blümchen funktioniert. Hier wird es dann spannend. Ames war der festen Überzeugung, dass er unfruchtbar geworden ist, da er sich mehrere Jahre Östrogenspritzen verabreicht hat. Er lebte nämlich als trans Frau, entschied sich jedoch drei Jahre zuvor zu detransitionieren. Katrina, die zuvor schon eine Scheidung und eine Fehlgeburt erlebt hat und deshalb mit der Schwangerschaft alleine schon überfordert ist, erfährt erst jetzt von Ames Vergangenheit, was den Überforderungsgrad noch ein gutes Stück in die Höhe schießen lässt. Als Ames dann noch seine Zweifel offenbart, sich nicht mit der Vaterrolle identifizieren zu können und deshalb vorschlägt, seine Ex-Freundin, eine trans Frau namens Reese, als Co-Mutter ins Boot zu holen, ist das Chaos komplett. Nachdem auch Reese in den Plan eingeweiht wurde und allen genügend Bedenkzeit eingeräumt wurde, starten sie den Versuch „queere Familie“. So viel erst mal zum Inhalt des Buches.


Wegen der gerade beschriebenen komplexen Ausgangssituation des Romans, hatten wir durchaus Respekt uns an das Buch heranzutrauen. Auch wenn wir uns schon mit trans-sein befasst haben, ahnten wir, dass es hier viel tiefer in die Materie gehen würde und hatten etwas Angst davor, dass wir mit unserem jetzigen Wissensstand überfordert sein könnten. Das war allerdings nicht der Fall. Im Gegenteil. Wir waren erfrischt von den Denkanstößen, die das Buch lieferte und hatten ein Leseerlebnis auf Augenhöhe. Im Umkehrschluss heißt das jedoch, dass der Roman schwierig für Einsteiger:innen sein könnte. Wer Interesse am Thema hat, sollte keine Schwierigkeiten haben. Mal ganz abgesehen natürlich von den Menschen, die sich durch den Inhalt oder die Figuren repräsentiert sehen.



Einblicke in unsere Gedanken


Einer der ersten Punkte, der bei uns aufkam, war die Frage nach Misgendering. Die Figur von Ames gab da extrem viel her. Da das Buch mit Rückblenden arbeitet, lernten wir die Figur auch als Amy und dort mit sie/ihr Pronomen kennen. Wenn wir dann über diese Passagen sprachen (und gerade wenn wir Vergleiche zu Ames Stellen zogen) wussten wir nicht so recht, wie wir die Figur dann ansprechen sollten. Vor allem deshalb, weil relativ früh in der Geschichte von Ames klar kommuniziert wird, dass er sich weiterhin als trans wahrnimmt. Dazu kommt, dass Reese, selbst eine trans Person, Ames ständig mit seinem Dead-Name anspricht und ihn absichtlich misgendert. Für mich zog ich Vergleiche von ihrem Charakter zu Familienmitgliedern von trans Menschen, die ähnliches Verhalten an den Tag legen und es mit der „aber ich kenne dich doch nur als XY“- Phrase rechtfertigen.

Auch die Idee von einem Dead-Dead-Name kam auf, da Ames seinen Namen von vor der Transition nicht wieder annahm, als er detransitionierte, sondern sich einen neuen gab. Generell realisierten wir, dass Torrey Peters uns mitnahm in unsichere Gefilde, bis wir uns die Frage stellten, ob Amy überhaupt echt gewesen ist.


Ein weiteres Plus des Romans war die Selbstverständlichkeit, mit der Themen wie Sex Work oder Herausforderungen von queerer Elternschaft Erwähnung fanden. Sie wurden angesprochen, aber da war nichts Plakatives, kein gestellter Fingerdeut, sondern eine Natürlichkeit, die dem Buch eine besondere Leichtigkeit gab. Was sicherlich mit dem Fakt zusammenhängt, dass der Roman von einer trans Frau verfasst wurde. Auch Katrina, die die einzige cis Protagonistin ist, trat nicht in die üblichen Fettnäpfchen, im Umgang mit trans Menschen. Was nicht heißen soll, dass sie ein fehlerloser Charakter war, nein, sie trat eher in welche, die nicht so gestellt wirkten.


Gerade zu Beginn, als ich Reese als lesende Person besser kennenlernte, stutze ich des Öfteren über ihre Definition von Weiblichkeit. Eine Stelle, die mir dabei besonders prägend in Erinnerung geblieben ist, möchte ich euch hier nicht vorenthalten:

„Ihr ganzes Leben hatte Reese gesehen, wie sich cis Frauen ihre Weiblichkeit durch männliche Gewalt bestätigen ließen. Man musste sich nur irgendeinen Film auf Lifetime ansehen. Oder auf irgendeinen Schulhof gehen. Oder in die nächste Bar und den Heteros beim Saufen zugucken. Hören, wie sich Frauen über Schmerz definieren oder gegen die Unterstellung aufbegehren, dass sie das tun, was dasselbe bedeutet: Es geht immer um Schmerz. Man musste nur hören, mit was für einer merkwürdigen Befriedigung sie über die Männer reden, die ihnen wehgetan haben – mit dem unausgesprochenen Subtext: Das ist passiert, weil ich eine Frau bin.“

Hier wird zum einen klar, warum der Charakter sich (Spoiler) zu Männern hingezogen fühlt, die nicht nur von ihr verlangen klare sexuelle Machtstrukturen einzuhalten (was sie gerne tut), sondern auch körperliche Gewalt an ihr verüben. Sie empfindet dieses Verhalten als Bestätigung ihrer Weiblichkeit. Eine weitere Sache, die sich anhand dieses Zitats herauskristallisiert, ist die Wichtigkeit von medialen und alltäglichen Darstellungen von Weiblichkeit. Solange Weiblichkeit mit Passivität und sich der Situation unterordnen gleichgesetzt wird, ist es verdammt schwierig eine Definition für sich selbst zu finden, die von diesen Attributen frei ist. Neben dieser Beobachtung wurde Reese von uns als abgeklärter Charakter wahrgenommen. Wohl weil sie so eine Art von coping mechanism ausübt, für die vielen Dinge, die für trans Frauen in unserer Gesellschaft so unfassbar falsch laufen.


Eine absurde Leseerfahrungen, die aus meinen Augen darauf abzielte darzustellen, wie lächerlich es ist eine Benachteiligung gegen eine andere aufzuwiegen, waren verbale Auseinandersetzungen von den Co-Müttern. Katrina, welche PoC ist und Reese lieferten sich regelrechte Diskriminierungolympiaden. Ein „Wettstreit“, der schlichtweg nur verloren werden kann und den ich in dieser Art das letzte Mal in einer Folge „Ginny & Georgia“ mit einem ähnlichen Unwohlsein beobachten konnte.


Einen letzten Themenbereich möchte ich gerne noch ansprechen: die teilweise toxische Darstellung der trans Community im Roman. Egal ob „Transbabies“, detransitionierte Personen oder cis Queers. Alle kommen sie schlecht weg. Die ersteren werden belächelt, zweitere werden aktiv ausgeschlossen und letztere dienen als „So wollen wir nicht werden“-Vorlage. Diese Sicht, die vor allem durch die Gedanken von Reese dargestellt wird, zeugt von einer ähnlichen Abgeklärtheit, die oben schon erwähnt wurde, aber in Kombination mit Zynismus und einer starken Bitterkeit. Eine deutliche Überspitzung der Community um eine Frustration an die Oberfläche zu spülen, die durch Unsichtbarmachung und Stereotypisierung ausgelöst wird. So zumindest meine Lesart des Ganzen.


Was ist die Essenz des Buches?


Peters Figuren struggeln alle mit der Frage danach, was Männlichkeit bzw. Weiblichkeit überhaupt ist. Gerade Ames verheddert sich in diesem binären System sehr. Auf der einen Seite hat er es satt, eine bestimmte Weiblichkeit zu performen, beispielsweise mit Röckchen und hohen Schuhen auf die Arbeit zu gehen. Allerdings kann er seine devote Ader, den Wunsch danach von einer anderen Person gesagt zu bekommen, was er tun und lassen soll (und das nicht nur in sexueller Hinsicht) nicht mit dem Konzept der Männlichkeit vereinbaren. Die ganze Zeit fieberte ich mit Ames, dachte „Wie schön wäre es, wenn diese Figur einen Weg finden würde außerhalb des Spektrums agieren zu können.“ Und genau dort hatte Torrey Peters mich.

So etwas gibt es doch, erinnerte ich mich dann. Es nennt sich zum Beispiel non-binary oder a-gender. Diese Einordnungen, die zumindest in meiner Bubble alltäglich geworden sind, wurden kein einziges Mal im Roman erwähnt. Und ich hatte mich so an diese Wirklichkeit angepasst, dass auch ich sie für die Spanne des Romans vergessen hatte.

Durch diesen Kniff der Autorin wurde mir als lesender Person klar, wie ungreifbar und willkürlich Gender doch ist. Dass es absolut abhängig davon ist, wie es von den Individuen, die dort gezeichnet wurden, interpretiert wird. Ich genoss es, dass ich ihr in die Falle gegangen war und gleichzeitig, dass ich mich wieder aus ihr befreit hatte.

Alleine dieser Erkenntnisbeginn hat das Buch zu einem meiner Lieblingsbücher in diesem Jahr gemacht. Mal ganz angesehen von all den anderen Punkten, die ich bereits genannt habe und die hier heute keine Erwähnung mehr finden. In diesem Buch steckt nämlich noch einiges mehr drin.


Diese Tatsache machte auch unseren Austausch im Buchclub diesen Monat zu einer erhellenden und produktiven Sitzung, aus der wir mit mehr Fragen als Antworten herausgegangen sind. Aber irgendwie hat das nicht eine einzige Person gestört.



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